Donnerstag, 31. Dezember 2015

Jahresrückblick


Das nun vollendete Jahr hatte es filmisch in sich. Ungewohnt schwer war es daher für mich eine Top Ten der definitiv besten Streifen zu finden. Wie gewohnt habe ich mich dabei nicht an die versucht objektiven Kritiken gehalten, sondern die Platzierungen viel eher nach dem Gefühl gewählt, das der Kinobesuch bei mir auslöste. Beeindruckt war ich so zum Beispiel davon, wie sehr mir bestimmte Bilder auch nach langer Zeit nicht aus dem Gedächtnis gehen. 6 von 10 Filmen starteten im ersten Halbjahr 2015 in den deutschen Kinos. Einige Filme, die mich tief beeindruckten können in dieser Liste natürlich keine Erwähnung finden. Die schiere Masse von 115 bewerteten Streifen lässt das nicht zu. Die großartigen Kritiken, die beispielsweise Alles steht Kopf, Spy, Leviathan, Selma oder Avengers 2 bekamen, soll dies nicht schmälern. Es gab lediglich 10 (15 inklusive der besonderen Nennungen) Filme, die mich tiefer berührten, schamloser unterhielten oder im besten Sinne fassungslos den Kinosaal verlassen ließen.



Platz 10
Mission: Impossible – Rogue Nation
Ein nahezu perfekter Actionfilm, der seinen großartigen Vorgänger Phantom Protokoll sogar noch überflügelt. Endgültiger Abschied von der Tom Cruise-One-Man-Show. Einem starken Drehbuch verdanken wir den tollen Gegenspieler und die großartige weibliche Hauptrolle, die der Serie so gut bekamen. Dazu voller legendärer Stunts und cooler Oneliner.

Platz 9
Kingsman – The Secret Service
Persiflage, Verneigung und Neuausrichtung des Agentenfilms in einem. Britischer gehts nicht. Völlig durchgeknallte Actionszenen, ein überragender Colin Firth als Kampfsportass und eine enorme Gagdichte machen aus dem brutalen Actionthriller und dem Spiel mit Zitaten und Querverweisen eine unvorhersehbare Mischung.

Platz 8
Me & Earl & the dying Girl
In Deutschland unter Ich & Earl & das Mädchen veröffentlicht. Sonst schlicht genial. Bittersüßes Krebsdrama voller liebenswerter Charaktere, verschrobener Ideen und viel, viel Stoff für Filmfans. Niemals kitschig und voller innovativer Einfälle, toller Jungdarsteller und technischen Spielereien. Ein echter Geheimtipp!

Platz 7
Wild Tales
Für mich die Überraschung des Jahres. Bitterböse Farce aus Argentinien, die in fünf Episoden die vorherrschende Korruption und irrgeleitete Bürokratie des Landes mit der menschlichen Zerstörungswut aufeinandertreffen lässt. Technisch tadellos und zum Schreien komisch. Ein großartiges Werk über den Punkt in uns, den man besser nicht überschreitet.



An dieser Stelle 5 Filme, die ich in diesem Jahr besser nicht gesehen hätte:

Kind 44
Unstrukturierte und völlig misslungene Buchverfilmung, die eine Mordserie in der stalinistischen Sowjetunion thematisiert. Ein gutes Dutzend Topstars wird in diesem zugleich langweiligen und hoffnungslos überfrachteten Thriller verheizt.

The Gunman
Auch hier scheitert ein prominent besetzter Film an seinem miserablen Drehbuch. Wirres Konstrukt aus Rachethriller, Actionfilm und Drama um die Neukolonialisierung Afrikas durch Großkonzerne. Und wir haben es verstanden: Sean Penn hat jetzt Muskeln.

What the Fuck heißt redirected?
Kläglicher Versuch, den Geist der Filme Guy Ritchies einzufangen. Überflüssig, langweilig und nicht im entferntesten cool. Neben dem bescheuerten Titel bleibt die große Frage, wie solch ein billiger Schund einen Verleih finden konnte.

Fantastic Four
Ein Film, über den alles schlechte bereits gesagt wurde. Eine aufstrebende Riege an Jungstars wurde hier zum Spielball der Streitigkeiten zwischen Regisseur und Produktionsstudio. Ein Marvel Film auf steinerweichend schlechtem technischen Niveau ohne Stan Lee-Cameo und Post-Credit-Scene.

96 Hours - Taken 3
Eine Beleidigung. Nicht nur für einen jeden Actionfan, sondern direkt für jeden Kinogänger. Liam Neeson hat hier gefühlt weniger Leinwandzeit als sein Stuntdouble. Dazu bleibt rätselhaft, wie Oscargewinner Forest Whitaker in diesen Schund gelockt werden konnte. Erbärmlich gefilmt und geschnitten und überraschend wie Regen im November.



Platz 6
Der Marsianer
Der Marsianer ist perfekte Unterhaltung. Nach einer langanhaltenden Durststrecke schöpft Altmeister Ridley Scott hier noch einmal aus den Vollen und präsentiert uns die perfekte Mischung aus nervenzerfetzender Spannung und launigem Humor. Klassisch-schön inszeniert ist Der Marsianer einer der Filme, die man stetig neu erleben will, um sich anschließend besser zu fühlen.



Platz 5
Mad Max: Fury Road
Altmeister Teil 2. Die Wenigsten hätten wohl für möglich gehalten, dass George Miller seine kultige Trilogie derart wirkungsvoll fortsetzt. Mit einem stillen Helden und der vielleicht besten weiblichen Actionikone seit Linda Hamilton ist Mad Max: Fury Road das optisch extravaganteste und beeindruckendste Stück Actionkino des Jahres.



Platz 4
Steve Jobs
In klassischer Dreiaktstruktur zeigt uns Danny Boyle den Mythos hinter der Apple-Legende. Herausragend dabei: das Drehbuch von Aaron Sorkin, der eine zweistündige Dialogschlacht gleichsam zur tiefgründigen Charakterstudie und zu packender Unterhaltung formt. Dabei ist Steve Jobs grandios gespielt. Michael Fassbender, Kate Winslet, Jeff Bridges und Seth Rogen sind allesamt eine echte Offenbarung in ihren Rollen.



Nun 5 Filme, die das Rennen um die vordersten Plätze knapp verfehlten, allesamt jedoch uneingeschränkt empfehlenswert sind:

Star Wars Episode VII: Das Erwachen der Macht
Knallbunt, perfekt inszeniert und auf höchstem Level unterhaltsam, hab ich Star Wars VII die Auflistung in der Top Ten nur verweigert, da sich Regisseur J.J. Abrams zu sehr auf bewährtes verlässt und die großen Fragen der Handlung auf weitere Teile verschiebt. Eine großartige Fortsetzung der Saga bleibt der Film allemal.



Slow West
Der beste Westernfilm des Jahres. Ähnlich wie schon The Homesman und The Salvation in den Jahren zuvor, hält Slow West das amerikanische Ur-Genre dank konsequentem Unterlaufen der Erwartungen am Leben. Wenn verantwortliche Studios nun noch an die Schönheit der Bilder und der Geschichten glauben würden, wäre ich äußerst erfreut.



Sicario
Ein mitreißender und kompromissloser Drogenthriller, der von technischer Seite unter die Top 3 des Jahres gehört, mit seiner ungewöhnlichen Erzählweise jedoch polarisiert. Prädestiniert für Preise in Dingen Kameraarbeit (Roger Deakins) und Score (Jóhann Jóhannsson).



Ex Machina
Ein Beleg für die Vielseitigkeit des Science-Fiction-Genres. Inhaltlich höchst spannend und brandaktuell. Zusätzlich absolutes Aushängeschild für die Fähigkeiten von Oscar Isaacs, Alicia Vikander und Domnhall Gleeson - drei DER Gesichter des Jahres. Wurde platzierungstechnisch von einem großartigen Jahrgang überrollt.



Carol
Meine schwierigste Entscheidung. In der Kritik für seine künstlerische Perfektion gelobt. Technisch absolut unantastbar und mit zwei der besten Performances des Jahres von Cate Blanchette und Rooney Mara. Lädt lediglich durch seine Sperrigkeit nicht in dem Maße zum wiederholten Schauen ein, wie die besser platzierten Streifen.



Platz 3
Victoria
Einen deutschen Film derart hoch einschätzen zu dürfen, erfreut mich ungemein. Der komplett in einem Take gedrehte Victoria ist vielmehr eine Grenzerfahrung als ein klassischer Film, geht tief durch Mark und Bein und berührt auf allen vorstellbaren Ebenen. Ein Erfolg der Kunst, den jeder einmal gesehen haben muss, auch wenn es Zeit und Überwindung kosten mag.



Platz 2
Birdman (oder die Unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)
Der Oscarabräumer des Jahres. Alejandro Gonzáles Iñáritu schafft in dieser Showbiz-Staire Einmaliges. Perfekt besetzt, eindrucksvoll fotografiert und voller vielschichtiger Dialoge, die jeden Zuschauer gleichsam begeistern und in seiner Manipulierbarkeit entlarven. Michael Keaton in der Rolle seines Lebens. Birdman lädt zum erneut Erleben und Weiterentdecken ein.



Platz 1
Whiplash
Kein anderer Film hat mich derart beeindruckt und, ob des gerade Gesehenen, geradezu erschlagen zurückgelassen. Aus einer einfachen Lehrer-Schüler-Geschichte zaubert Regisseur Damien Chazelle dank seiner Hauptdarsteller Miles Teller und J.K. Simmons und einem brillianten technischen Stab (der folgerichtig doppelt oscargewürdigt wurde) ein Meisterstück von unfassbarer Emotionaler Fallhöhe. Ein absolutes Muss für jeden, der Filme nicht nur zur Berieselung schaut.



Mittwoch, 30. Dezember 2015

Erkenntnis des Tages: Finger weg



Ich bin dann mal weg

Der immense Erfolg der Vorlage lässt nur eine Frage zu: Warum dauerte es derart lang, bis clevere Produzenten eine Verfilmung von Hape Kerkelings Ich bin dann mal weg realisierten? Nach dem Kinobesuch stelle ich mir allerdings eine ganz andere Frage: Warum musste es nun ausgerechnet diese sein? Der Volkskomiker löste mit seinem 2006 erschienenen Reisebericht eine neue Welle des Pilgerns aus. Die amüsante Sinnsuche verkaufte sich mehr als 5 Millionen mal und ist bis heute das erfolgreichste deutsche Sachbuch seit 1949. Und auch Julia von Heinz Kinoadaption findet abseits der zur Zeit grassierenden Star Wars-Manie viele Fans. Doch der Film tut leider vieles, um sich entgegen seiner Vorlage nicht im kollektiven Gedächtnis der Kinonation einzurichten. Bei einer Laufzeit von knappen 92 Minuten sollte man eigentlich einen kurzweiligen Unterhaltungsfilm erwarten. Doch das einfallslose Drehbuch lässt viele Passagen des Films sehr zäh wirken. Das treibende Element der Geschichte ist ausschließlich der Jakobsweg selbst, aus den Figuren entsteht keinerlei Spannung; vorhersehbare Entwicklungen auf Seifenopernniveau versucht uns der Film als bedeutende, dramatische Momente zu verkaufen. Wenn die Geschichte um Kerkeling und seine Mitwanderer letzten Endes Fahrt aufnimmt, ist Ich bin dann mal weg auch schon wieder gelaufen. Erst im finalen Viertel findet der Film zu unterhaltsamer Form. Dazu war mir die Optik des Streifens ein steter Dorn im Auge. Von Heinz und ihr Team gestalten den vermeintlich körperlich wie spirituell herausfordernden Jakobsweg in weichgezeichneten Pastellfarben und schmalziger Postkartenromantik. Außerdem wird der Kinobesucher eineinhalb Stunden mit nervigsten Streicher- und Akustikgitarrenklängen bombardiert, die pausenlos jede Szene künstlich dramatisieren. Jegliche Möglichkeit zu Reflexion oder inneren Einkehr wird so zunichte gemacht. Einem Film, der sich religiöse Selbstfindung auf die Fahnen schreibt, bekommt dies natürlich äußerst schlecht. Lobend hervorheben muss ich hingegen das uneingeschränkt gut gecastete Schauspielensemble. Allen voran Devid Striesow ist als Hape Kerkeling in jeder Szene glaubwürdig. Er verkörpert den Entertainer mit dem Wunsch nach einem Lebenswandel nachvollziehbar und entsprechend zurückgenommen. An seiner Seite bleibt vor allem die eifrige Fernsehdarstellerin Karoline Schuch als gelangweilte Journalistin in Erinnerung, die für die humoristischen Töne verantwortlich ist. Völlig verschenkt ist hingegen Kultschauspielerin Katharina Thalbach, die als Kerkelings Oma mit komplett überdrehtem Ruhrpottdialekt die ohnehin schon schwächsten Szenen des Films vollkommen unerträglich macht. Denn Julia von Heinz verfremdet die Geschichte zusätzlich mit Episoden aus Kerkelings Jugendzeit. Zur eigentlichen Haupthandlung tragen diese jedoch nicht das Geringste bei. Dem kritischen Blick auf die Auswirkungen des Showbusiness Kerkelings glorreichen Aufstieg zum Star entgegenzusetzen, ist dementsprechend auch komplett kontraproduktiv. Somit retten nur die gut aufgelegten Schauspieler Ich bin dann mal weg vor dem kompletten Fiasko.

4/10

Für Fans von: Hin und weg, Dein Weg

Mittwoch, 16. Dezember 2015

Die Rückkehr der kindlichen Freude



Star Wars Episode VII – Das Erwachen der Macht

Für astronomische 4 Milliarden Dollar kaufte Disney 2012 die Rechte am Star Wars- Universum von George Lucas. Seit diesem Tag zeigte sich der Mickey Maus-Konzern als Meister des Marketings. Pläne für ein Expanded Universe à la Marvel mit einer neuen Trilogie und zahlreichen Spin-Offs wurden verkündet. Mit sehr früh veröffentlichten Teasern und Trailern, einem gigantischen Angebot an Spielzeug und ähnlichen Fanutensilien wurde der Hype um die Krieg der Sterne-Saga ins Unermessliche getrieben. Die Erwartungen an den eigentlichen Film waren nach der misslungenen Prequel-Trilogie von 1999-2005 zusätzlich enorm hoch. Konnte Star Trek-Regisseur J.J. Abrams 32 (viele sagen auch 35) Jahre nach dem letzten wirklich guten Star Wars-Film eine Wiederauferstehung des Mythos gelingen? Die Antwort ist ein uneingeschränktes JA! Von der ersten Sekunde an ist Das Erwachen der Macht packend und unterhaltsam. Über niemals gestreckt wirkende 136 Minuten entführt uns der Film glaubhaft wie im ersten Star Wars in eine ferne Galaxie. Mit viel Herz und glücklicherweise ohne den selbstreferenziellen Zynismus anderer großer Filmreihen unserer Tage begeistert Das Erwachen der Macht durchweg. J.J. Abrams macht als ausgewiesener Fanboy auch nicht den Fehler, sich ausschließlich an ein erfahrenes Publikum zu wenden. Eine neue Generation von Kinogängern kann ohne Probleme in die vielfältige Star Wars-Welt eintauchen. Für Fans der ersten Stunde gibt es natürlich wesentlich mehr zu entdecken und neu zu erleben, doch Das Erwachen der Macht holt jeden Zuschauer gleichsam ab. Dies hat zwei besondere Gründe. Zum ersten begeistert Episode VII durch technische Perfektion. Auch wer Science-Fiction generell etwas skeptisch gegenübersteht, muss diesen brilliant inszenierten Film erleben. Was Kamera, Set-Design und Special-Effects hier bieten, ist schlicht atemberaubend. In effektiv genutztem 3D wirken die gigantischen Weltraumschlachten spannender denn je. Mit Liebe zum Detail und gezielter Farbsetzung ist das Erwachen der Macht pures Augenfutter, das sich in voller Pracht nur auf der Großen Leinwand erleben lässt. Der zweite Grund für die universelle Begeisterung, die dieser Film auslösen wird, ist das neu eingeführte Team der Hauptdarsteller. Mit Oscar Isaac, Adam Driver und Lupita Nyong'o fährt der Streifen die höchste Riege aufstrebender Superstars auf, doch die Darstellung der eigentlichen Protagonisten Rey und Finn dürfte für Daisy Ridley und John Boyega den absoluten Durchbruch bedeuten. Die beiden mäßig bekannten Serienschauspieler schultern die gesamte Unternehmung eindrucksvoll und überzeugen sowohl in den dramaturgisch bedeutenden Momenten als auch den fordernden, kampfbetonten Sequenzen und sind dazu absolute Sympathieträger. Als besonders herausragend empfand ich ebenso John Williams Score. Mehr als jedes anderer Element des Films überträgt die Musik die Emotionen von der Leinwand zum Zuschauer. Mit viel Bombast und dennoch der nötigen Ruhe in bedächtigen Szenen ist die perfekte Orchestrierung das klarste Echo der Originaltrilogie. So werden die Themen von Darth Vader und Luke Skywalker, oder das liebliche Love-Theme von Leia und Han Solo intelligent in den Filmverlauf integriert und lassen jedes Fanherz höher schlagen. Lediglich über das Drehbuch lässt sich an dieser Stelle streiten. Trotz einiger Überraschungen hält sich die Storyline etwas unselbstständig an den ersten Star Wars-Film Eine neue Hoffnung. Wobei dies natürlich eine willkommene Einladung an alle darstellt, in denen mit Episode VII zum ersten mal die Macht erwacht. J.J. Abrams baut mit diesem Film die perfekte Brücke vom Mythos vergangener Jahrzehnte zu all den großen Abenteuern, die uns Disney in nächster Zeit noch bescheren wird.

9/10

Für Fans von: Star Wars 4-6,

Ein besondere Weihnachtsgeschenk



Carol

Bei den Filmfestspielen von Cannes gehörte Carol zu den Abräumern. Der Preis für die beste Schauspielerin ging an die britisch-amerikanische Koproduktion, ebenso konnten sich die Filmemacher über eine Palme in der Nebenkategorie Queer freuen. Todd Haynes neuster Streich wurde dazu mit minutenlangen Standing Ovations an der Côte d'Azur gefeiert. Seither erreichen uns nach und nach Kritiken aus allen Teilen der Welt, die Carol in den höchsten Tönen loben. Doch vermag das Liebesdrama auch das filmbegeisterte Publikum zu begeistern? Die Antwort darauf ist eindeutig ja! Carol vermittelt auf unaufgeregte Weise eine derartige Vielfalt an Emotionen, wie sie seltenst im Kino zu sehen ist. Weder Drehbuch, noch Regie, keine schauspielerische Leistung und kein technischer Aspekt an diesem Streifen offenbart wirkliche Schwächen, jeder Beteiligte schien mit ganzem Herzen einen außergewöhnlichen Film erschaffen zu wollen und doch ordneten sich alle dem Gesamtwerk unter. Carol erreicht somit eine fast makellose Vollkommenheit. Die erzählte Geschichte behandelt die aufkeimende Liebe zwischen einer wohlhabenden Dame und einer einfachen Verkäuferin im New York des Jahres 1952. Mit Oscargewinnerin Cate Blanchett kann Carol in der titelgebende Hauptrolle mit einer echten Idealbesetzung auftrumpfen. Die Zerrissenheit ihrer Figur transportiert Blanchett höchst einfühlsam zum Zuschauer. Als größere Überraschung darf allerdings Rooney Mara gelten. Sie steht der Grand Dame der Schauspielerei in nichts nach. Als von der Liebe überrumpelte junge Therese ist sie viel eher Identifikationsfigur, als die erfahrene Carol. Diese Last ist ihr jedoch niemals anzumerken, Mara überzeugt mit auf den ersten Blick sehr zurückgenommenem Habitus, offenbart jedoch das gesamte chaotische Innenleben ihre Figur durch eine präzise Mimik. Allein die finale Szene des Films ist diesbezüglich höchster Genuss fürs Auge. Passenderweise war es auch die junge Amerikanerin, die die silberne Palme in Cannes für ihre Leistung erhielt. Ein weiterer großartiger Aspekt an Carol verdanken wir der Arbeit von Regisseur Todd Haynes (I'm not there) und Drehbuchautor Phyllis Nagy, der hier den Patricia Highsmith Roman Salz und sein Preis adaptierte. Denn zu keiner Zeit verkommt Carol zu einem Portait zweier Vorkämpferinnen, es gibt keinen feministischen Auftrag, keine brutalen Ehemänner, denen die Protagonistinnen entfliehen müssten, Carol bleibt von Minute 1 bis 118 eine im positiven Sinne herzergreifende Liebesgeschichte. Die höchst sinnliche Erfahrung, zu der sich dieser Film entwickelt, entsteht jedoch vor allem durch die gezeigten Bilder. Nahezu jede Einstellung von Chef-Kameramann Edward Lachmann (hierzulande unter anderem bekannt durch seine Arbeit mit Wim Wenders, Werner Herzog und Ulrich Seidl) ließe sich in ein beeindruckendes Gemälde wandeln. Stets fokussiert sich die Perspektive auf die Gesichter der Hauptdarstellerinnen und wird so unmittelbarer als in den meisten Filmen zum sprichwörtlichen Fenster in die Seele. Dazu leisteten Set-Designer und Kostümbildner herausragende Arbeit und vermitteln ein glaubhaftes Bild der 50er Jahre. Gemeinsam mit der schwelgerischen Musik von Coen-Brüder-Stammkomponist Carter Burwell, die mich auch nach dem Kinobesuch noch lange schwärmen ließ, entsteht so ein enorm vielseitiges Bild einer schwierigen Liebe. Carol wird durch seinen künstlerischen Anspruch zweifellos kein großes Publikum finden. Doch als Film, der in der kommenden Award-Saison ein gewaltiges Wörtchen mitsprechen dürfte, hat er jeden einzelnen Zuschauer verdient.

9/10

Für Fans von: Blau ist eine warme Farbe, Kill your Darlings

Donnerstag, 10. Dezember 2015

Brücken statt Mauern



Bridge of Spies

Als Märchenonkel für Groß und Klein machte sich Steven Spielberg einen Namen in Hollywood. Werke wie Jäger des verlorenen Schatzes, E.T. oder Jurassic Park zeugen bis heute davon. In den fast 50 Jahren seines Schaffens hat sich der Altmeister stets eine kindliche Freude am Entdecken und eine zynismusfreie Herangehensweise an seine Filme bewahrt. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir neue Spielberg-Filme genießen können, macht nun auch Bridge of Spies, trotz seines im Kern trockenen Themas, zu einer warmherzigen und dennoch wahrhaftigen Angelegenheit. Die Geschichte des Anwalts James Donovan, der im Berlin des Jahres 1961 zwischen die Fronten des Kalten Krieges gerät, hätte in den falschen Händen schnell klischeeüberladen oder schlicht langweilig werden können. Doch auf Spielberg und sein Team ist einmal mehr Verlass. Die stattliche Laufzeit von 142 Minuten ist dem stringent erzählten Film nicht anzumerken. Ein beachtlichen Anteil daran hat das toll ausbalancierte Drehbuch, das die vielen Charaktere, deren Abhängigkeiten und versteckten Motive sowie die eigentliche, klassische Agentengeschichte stets für den Zuschauer nachvollziehbar aufbaut. Spannenderweise waren die Coen-Brüder treibende Kraft hinter dem Script. Des Weiteren sorgen die hervorragenden schauspielerischen Leistungen für großes Kinovergnügen. An vorderster Front steht mit Tom Hanks der Prototyp des aufrichtigen und vertrauensvollen Jedermanns. Der zweifache Oscarpreisträger gibt hier den von ihm bereits in Der Soldat James Ryan, Der Krieg des Charlie Wilson oder Captain Philipps perfektionierten durchschnittlichen Mann in einer außergewöhnlichen Situation. Fein nuanciert und nie aufdringlich begleitet ihn das Publikum durch die verwirrende Welt der Geheimdienste. An Hanks Seite dürfen in dieser deutschen Co- Produktion (gedreht wurde unter anderem in Potsdam, an der Glienicker Brücke und auf dem Flughafen Tempelhof) auch einheimische Schauspieler mitwirken. So erinnert uns Sebastian Koch als Vertreter des Justizapparates der DDR, welchen minimalen Einfluss der zweite deutsche Staat im Aufeinandertreffen der Großmächte doch hatte, während Burghardt Klaußner und Jungstar Max Mauff (Victoria, Stromberg - Der Film) in reinen Komödienrollen den humoristischen Grundton des Films unterstreichen. Die beeindruckendste Performance des Streifens liefert jedoch Mark Rylance ab. Der britische Theaterschauspieler (einigen vielleicht aus Intimacy bekannt) ist als sowjetischer Spion der Stein des Anstoßes in Bridge of Spies. Doch gerade im großartigen Zusammenspiel mit Tom Hanks offenbaren sich Schicht um Schicht gleichsam die Lächerlichkeit der Spionage und Gegenspionage, sowie die ureigensten Werte der Menschlichkeit, die im wahrsten Sinne des Wortes Mauern überwinden. Dank Spielbergs Stammkameramann Janusz Kaminski (Oscars für Schindlers Liste und Der Soldat James Ryan) und einer authentischen bildlichen Entsprechung für die Paranoia der Hochphase des Kalten Krieges, sieht Bridge of Spies durchgehend hochwertig aus. Lediglich der gesundheitsbedingte Tausch der Komponisten macht sich negativ bemerkbar. Für John Williams übernahm Thomas Newman, dessen schwülstiger Score allerdings deutlich zu melodramatisch gelang. Bridge of Spies kann abschließend dank großartiger Darsteller und der Perfektion seines Regisseurs gleichzeitig als Unterhaltungsfilm und pazifistisches Lehrstück überzeugen.

8/10

Für Fans von: JFK – Tatort Dallas, Wer die Nachtigall stört, Argo

Thor und Poseidon



Im Herzen der See

Im Herzen der See endet mit einem Zitat des amerikanischen Romantikers Nathaniel Hawthorne, in dem er Hermann Melvilles Roman Moby Dick mit Homers Odyssee vergleicht. Ebenso Episches schien auch Regisseur Ron Howard im Sinn zu haben, als er diese freie Adaption des Kultromans drehte. Doch an der breitgefächerten und tiefgründigen Geschichte über das Verhältnis von Mensch und Natur scheitert er größtenteils in dieser Leinwandadaption. Im Herzen der See wird aus der Sicht des jungen Matrosen Thomas Nickerson (Tom Holland, der zukünftige Spiderman) erzählt. In zwei Zeitebenen schildert er seine Abenteuer auf der Essex sowie sein Zusammentreffen mit Hermann Melville, den die Geschichte des Walfängers zu Moby Dick inspirierte. Im Herzen der See beruht zwar offiziell nicht auf Melvilles Buch, sondern auf dem 2000 erschienenen In the Heart of the Sea von Nathaniel Philbrick, trotzdem ist dem Film sein Bemühen um historische Größe stets anzumerken. Auf technischer Ebene funktioniert dies auch ganz vernünftig. Mit spektakulärer Kameraarbeit (Fans von Howards vorangegangenen Film Rush werden die typische Close-Up-Optik wiedererkennen) und hochwertigen Special-Effects ist die Waljagd auf der großen Leinwand unterhaltsam anzuschauen. Dazu machen die Hauptdarsteller Chris Hemsworth, Cillian Murphy und Benjamin Walker ihren Job ordentlich, auch wenn sie nie gegen das schlecht austarierte und überladene Drehbuch ankommen. In der Rahmenhandlung sind dazu die hochdekorierten Akteure Ben Wishaw und Brendan Gleeson in einem simplen Gespräch komplett verschenkt. Wer die Geschichte der Essex kennt, weiß um den zehrenden Überlebenskampf der Besatzung nach dem berüchtigten Walangriff. Auch diesen Part der Geschichte integriert Howard in die 121 Minuten von Im Herzen der See. Doch auch hier zeigt sich, dass der Film versucht, zu Lasten einer intensiven Kinoerfahrung, ein größtmögliches Publikum anzusprechen. Mit der zahmen Inszenierung des Streifens (manche Schnitte schreien geradezu nach dem Wunsch der Produzenten eine FSK 12- Freigabe zu erhalten) funktioniert dieser nicht als Survivalfilm. Für Fans des Originalstoffes bleibt der Mythos des weißen Wals zu schwach beleuchtet. Einige wenige Minuten Screentime für diesen Handlungsstrang machen aus Im Herzen der See noch keine Romanverfilmung. Und zusätzlich ist der Streifen meilenweit von großen Seefahrerdramen wie Master and Commander entfernt, da die Figurenzeichnung des privilegierten Kapitäns und seines ersten Maats aus einfachen Verhältnissen zu platt ist und dieser, eigentlich zentrale, Konflikt nur selten im Fokus steht. Im Herzen der See versucht von allem Etwas zu sein, ist am Ende jedoch leider nur mittelmäßig in jeglicher Hinsicht.

5/10

Für Fans von: Master and Commander, Life of Pi, Der Seewolf

Donnerstag, 3. Dezember 2015

Jesus und der Waschsalon



Das brandneue Testament

Was wäre, wenn Gott existiert? Wenn er als saufender Abschaum seine Familie terrorisiert und mit Freuden den Menschen Leid zufügt? Wenn er zu allem Überfluss noch in einer heruntergekommenen Wohnung in Brüssel lebte? Diese Fragen sind nun der Aufhänger für Das brandneue Testament. In einer fantasievollen Mischung aus Religionssatire, Liebesgeschichte und Märchen erzählt uns Regisseur Jaco van Dormael die Geschichte von Gotts Tochter Éa, die wie ihr Bruder Jesus, im Film konsequenterweise JC genant, aus der familiären Hölle ausbricht und beschließt selbst auf die Suche nach Aposteln und einem neuen Testament zu gehen. Dem zuvor geht allerdings ein von Éa verursachtes Chaos, das entsteht, als sie zur Schmach ihres Vaters, allen Menschen ihr Todesdatum zusteckt. Aus diesem skurrilen Versatzstücken zimmert uns van Doramel nun ein nicht immer schlüssiges, aber sehr einnehmendes Gedankenkonstrukt. Nun wird Das brandneue Testament keine Welle der Verdammnis von Seiten der katholischen Kirche provozieren, wie es einst Dogma tat, die sehr weiblich betonte Herangehensweise an den Stoff weiß aber durchaus auch Religionskritikern zu gefallen. Die Story wird passend dazu in biblisch bekannte Kapitel geteilt. Vor der Suche nach ihren Aposteln erzählt uns Éa von der Genesis und ihrem persönlichen Exodus. Die ungewöhnliche Storyline wird das Publikum dennoch sicherlich spalten. Van Doramels Inszenierung weiß hingegen durchweg zu begeistern. Der zentrale Einfluss im Stil des Films kommt zweifellos vom Theater. Besonders die großartige Kameraarbeit von Christophe Beaucarne (Gemma Bovery, A royal night) und die bühnenbeeinflussten Bauten zeugen davon. Ein auch inhaltlich enorm wichtiger Faktor des Films ist die Musik, deren Rolle ein jeder bestenfalls selbst im Kino entdeckt. Aus dem hierzulande fast gänzlich unbekannten Cast sticht erfreulicherweise die erst 10jährige Hauptdarstellerin Pili Groyne heraus. Ihre Éa ist das im Film beschworene Bild der unschuldigen Jugend. Das Nachwuchstalent schultert diese Verantwortung bravurös. Eine Erwähnung soll an dieser Stelle auch noch Leinwandikone Catherine Deneuve erhalten, die in einer besonders aberwitzigen Episode eine Apostelin spielt. Trotz der vielen positiven Eigenschaften des Films, wird Das brandneue Testament nicht jedermanns Sache sein. Doch wer sich von einer sperrigen Erzählung nicht abschrecken lässt und innovative Arthousefilme mag, sollte definitiv einen Blick riskieren.

7/10

Für Fans von: Being John Malkovich, Alice im Wunderland, Moonrise Kingdom



Wenn es nicht perfekt ist, schmeiß es weg



Im Rausch der Sterne

Kochen ist Lifestyle! Nach diesem Motto werden nicht mehr nur tagtäglich dutzende Kochshows im Fernsehen ausgestrahlt, nein auch der Hobbykoch strebt zusehends nach Perfektion auf dem Esstisch. Die Ehrfurcht vor Lebensmitteln und deren fachgerechter Zubereitung ist in den letzten Jahren immer stärker in die Öffentlichkeit gerückt wurden. Die Zeiten, als Essen bloße Nahrungsaufnahme war, scheinen unwiderruflich vorbei zu sein. Auch im Kino widmeten sich in jüngerer Vergangenheit einige wirklich unterhaltsame Filme der Kochkunst. Stellvertretend seien an dieser Stelle Kiss the Cook und Madame Mallory und der Duft nach Curry genannt. Der nun vorliegende Im Rausch der Sterne verzichtet jedoch in Gänze auf romantische Verklärung von Düften und Geschmack, sondern inszeniert das Kochhandwerk als schweißtreibende Maloche obsessiver Menschen. Um ein möglichst realistisches Bild des Wettbewerbs unter den Köchen zu zeichnen, holte sich Regisseur John Wells (Im August in Osage County, The Company Men) zwei absolute britische Ikonen ins Boot. Der mit zwei Sternen im Guide Michelin ausgezeichnete Starkoch Marcus Wareing fungierte als Set-Berater und führte den Cast des Films in die Geheimnissen des Kochens ein. Dazu fungierte Kultfigur Gordon Ramsay (Hell's Kitchen) als Produzent. Folgerichtig sind die Kochsequenzen das Herzstück von Im Rausch der Sterne. Wenn aufwändige Menüs in höchster Perfektion punktgenau auf dem Teller landen sollen, hat man den Eindruck einer intensiven Actionsequenz zu folgen. Ein spannender inszenatorischer Ansatz, dessen hohes Niveau sich generell in allen technischen Belangen des Streifens durchzieht. Doch Im Rausch der Stern wartet nicht nur mit den obligatorischen Food Porn-Bildern auf, sondern weiß auch durch seinen starken Cast zu überzeugen. An vorderster Front darf Bradley Cooper als heißblütiger Chefkoch Adam Jones überzeugen. Besonders im Zusammenspiel mit den beiden zentralen Nebendarstellern Sienna Miller und Daniel Brühl (der einmal mehr beweist, warum er derzeit Deutschlands größtes Aushängeschild in Hollywood ist) gelingen so einige wirklich bemerkenswerte Szenen bei denen sich die gute Leinwandchemie der Schauspieler auf die Zuschauer überträgt. Mit großen Namen wie Omar Sy, Uma Thurman, Alicia Vikander oder Emma Thompson geben sich dazu noch internationale Topstars ein Stell-dich-ein. Auch wenn einige Rollen nicht über ein Cameo hinausgehen, kann sich der geneigte Filmfreund über bekannte Gesichter in jedem Moment der 103 Minuten Laufzeit freuen. Der eingangs erwähnte Realitätsfaktor trägt zwar zum Gelingen dieses Films beiträgt, die Charakterisierung der Hauptfigur ist im Gegensatz dazu doch sehr eindim ensional gelungen. Adam Jones wird als reines Ekelpaket dargestellt, dessen Verhalten gegenüber Freunden und Kollegen ihn eher als Antagonisten erscheinen lässt. Seine moralische Wandlung ist dann folgerichtig auch überhastet und vorhersehbar. Dazu wird krampfhaft versucht Jones eine tragische Vergangenheit zu geben. Auf diese greift das Drehbuch dann reflexartig zu, wenn der Haupthandlung etwas Leerlauf droht. Diese Unwägbarkeiten haben zur Folge, dass das Publikum nicht mehr mit der Hauptfigur mitfiebert. Lustigerweise umgehen die Filmemacher selbst letztendlich dieses Problem, wenn sie im letzten Viertel des Streifens zwei komplett überraschende Twists aus dem Ärmel schütte ln, die Im Rausch der Sterne noch einen einigermaßen versöhnlichen Abschluss schenken.

6/10

Für Fans von: Kiss the Cook, Soul Kitchen

Mittwoch, 2. Dezember 2015

Perfekte Benutzerfreundlichkeit



Steve Jobs

Nach dem Tode Steve Jobs am 5. Oktober 2011 fielen Apple-Jünger (die nicht umsonst so heißen) in regelrechte Hysterie. Videos von jungen Mädchen machten die Runde, in denen die Errungenschaften des Kaliforniers gepriesen wurden, wie die Erfindung des Rades. Eine ungeahnte, globale Heiligsprechung nahm ihren Lauf. Zu dieser trug dann auch der misslungene Versuch bei, einen filmischen Kniefall für den Apple-Gründer zu veröffentlichen. Nicht umsonst hatte der Ashton Kutcher-Streifen jOBS das Wort Erfolg im Untertitel. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Steve Jobs und der Person, die dahinter steht, war von solch einem Film nicht zu erwarten. Dies gelingt nun dem nahezu perfekten Steve Jobs. Die ausgeklügelte, hochoktanische und brilliant gefilmte Tour de Force, die uns einer der vielseitigsten Regisseure unserer Zeit, Danny Boyle (Slumdog Millionaire, Trainspotting, 127 Hours, Sunshine) nach dem famosen Drehbuch von Oscargewinner Aaron Sorkin (The Social Network) hier präsentiert, ist eines der besten Bio-Pics aller Zeiten, weil es die angestaubten Abläufe des Genres konsequent unterläuft. Steve Jobs gliedert sich in ein klassischen Dreiakter. Jeweils 40 Minuten lang folgen wir dem Apple-Chef bei den Vorbereitungen auf einer seiner berühmten Produktpräsentationen. 1984 für den ersten Macintosh, 1988 für den Wissenschafts-PC NeXT sowie 1998 für den iMac. Die eigentlichen Vorstellungen sparen Boyle und Sorkin dann konsequenterweise aus. Der Film interessiert sich vielmehr für das fragile Gebilde an mannigfaltigen geschäftlichen wie privaten Verbindungen Jobs. Angeführt von Ausnahmeschauspieler Michael Fassbender, der die Rolle unerklärlicherweise erst nach den Absagen von Leonardo DiCaprio, Matt Damon, Ben Affleck, Bradley Cooper und Christian Bale erhielt, präsentiert uns Steve Jobs einen grandiosen Cast, der sich gegenseitig zu Höchstleistungen antreibt. Gleichermaßen begeistern Kate Winslet als Jobs Pressesprecherin und engste Vertraute, Seth Rogen als Mastermind Steve Wozniak, Jeff Daniels als Apple-Vorstandsvorsitzender John Scully, Michael Stuhlbarg als Softwareentwickler Andy Hertzfeld und Katherin Waterson als Jobs Ex-Freundin und Mutter seiner Tochter Lisa. All diesen Figuren verpasst der Film eine ungeheure emotionale Tiefe, die nur durch Gespräche mit dem allmächtigen Steve Jobs herrühren. Dies ist zuallererst dem atemberaubenden Drehbuch zu verdanken. Aaron Sorkin bombardiert den Zuschauer regelrecht mit seinen ausgefeilten Dialogen. Jedoch wird kein Wort zu viel verloren, kein Handlungsstrang vernachlässigt. Angepeitscht von einem elektrisierenden Score schafft es der Film zudem die maximale Aufmerksamkeit des Kinogängers zu erhaschen, ohne ihn zu überfordern. Gebannt bleibt man an den Figuren und der, durch die Dreiteilung bedingt, enorm kurzweiligen Handlung kleben. Zusätzliche Spannung zieht Steve Jobs aus seiner tollen Inszenierung. Durch abwechslungsreiche Kameraarbeit und ein geübtes Händchen für die Zeit, in der sich die Story soeben befindet, ist der Film ein zusätzliches Fest für das Auge. So drehte Boyle das erste Drittel des Films auf grobkörnigen 16mm Film, die 1988er Passage in breitester 35mm-Pracht, den finalen Part des Werkes in hochauflösendem Digital-Look. In letzen Teil gibt es mit der optisch herausragendsten Szene des Films zusätzlich eine Hommage an Steve Jobs als Mitbegründer der Animationsfabrik Pixar. Kammerspiel und Kinomagie in einem – die meisterliche Dialogschlacht Steve Jobs begeistert in allen Belangen durch beeindruckende Darsteller, ein mitreißendes Drehbuch und technische Perfektion.

9/10

Für Fans von: Birdman, The Social Network



Donnerstag, 26. November 2015

Die große Suche







Ewige Jugend

Die Erwartungen an Paolo Sorrentinos neuen Film waren nach seinem Oscargewinn für La grande Bellezza - Die große Schönheit naturgemäß hoch. Die ekstatische Liebeserklärung an die Ewige Stadt begeisterte im vergangenen Jahr enorm, umso schöner ist es, dass mit Ewige Jugend nun ein nahezu ebenbürtiges Werk des Italieners in unsere Kinos kommt. Im Vergleich zu La grande Bellezza bietet der Streifen zwar weniger malerische Poesie, überzeugt aber durch ein famoses Schauspielensemble und viel melancholischen Humor. Es ist ein schräges Panorama an Kunstschaffenden, die das Berghotel bewohnen, in dem Sorrentino seinen Film ansiedelt.. An vorderster Front sehen wir Michael Caine und Harvey Keitel, als langjährige Freunde. Während ersterer, in aktiver Zeit als einflussreicher Komponist berühmt, seinen Ruhestand genießen möchte, versucht Zweiterer sein Vermächtnis als Regisseur zu hinterlassen. In Nebenrollen überzeugen auf ganzer Linie dazu Rachel Weisz als des Komponisten Tochter, die ihren Freund an eine einfältige Popsängerin verliert und Paul Dano als Schauspieler, der sich in der Abgeschiedenheit der Schweizer Alpen auf eine schwierige Rolle vorbereitet. Diese sorgt in ihrer späten Enthüllung für einen der abstrakten und überraschenden Momente, die dem Film einen unwahrscheinlichen Sog verleihen. In diesem Zusammenhang sei auch auf eine irrwitzige Szene mit einem Diego Maradona-Verschnitt und einen verstörenden Gastauftritt von Kult-Diva Jane Fonda hingewiesen. Einen bedeutenden Aspekt in Ewige Jugend stellt die Musik dar, für die sich einmal mehr Grammy-Gewinner David Lang verantwortlich zeigte. Das Repertoire des Films reicht von Igor Stravinsky bis The Retrosettes Sister Band (You got the Love, Reality – La Boum) sowie von Claude Debussy bis David Guetta. Was die Stücke all dieser Künstler vereint, spiegelt die Kernaussage des Streifens dann auch bestens wieder. Die Sehnsucht der Protagonisten nach der titelgebenden ewigen Jugend findet hier seine audiovisuelle Entsprechung. In dieser starken Suche nach einem würdigen und sinnvollen Lebensabend findet sich dann auch eine kleine Schwäche des Films. Besonders die Dialoge der Hauptfiguren sind schlussendlich von übertrieben viel Bedauern über die eigene Sterblichkeit und verpasste Chancen geprägt. Glücklicherweise kann sich Sorrentino jedoch auf seinen Stammkameramann Luca Bigazzi verlassen. Der komplette Film strahlt eine unnachahmliche optische Pracht aus und unterstreicht so die Würde der handelnden Personen, die diese oftmals schon zu verloren geglaubt haben. Für Freunde des anspruchsvolleren Kinos ist Ewige Jugend eine weise und tiefgründige Erfahrung, visuell herausragend und großartig gespielt.

9/10

Für Fans von: La grande Bellezza – Die große Schönheit, Grand Budapest Hotel, Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit

Der Teil mit dem Krebs



Ich & Earl & das Mädchen

Im vergangenen Jahr war es Whiplash, der mit einer eigenständigen Idee und viel Herzblut beim Sundance-Festival groß abräumte. Whiplashs anschließende Erfolgsgeschichte bei den Oscars ist heute längst legendär, doch auch 2015 gewann beim weltgrößten Independentfilmfestival ein Streifen mehrere Preise, der unerwartet positiv von Publikum und Kritikern aufgenommen wurde. Ich & Earl & das Mädchen ist die Romanverfilmung von Jesse Andrews Debüt Me & Earl & the dying girl aus 2012. Auch die deutsche Übersetzung des Buches trug folgerichtig den fast schon lyrisch anmutenden, die Stimmung der Geschichte aber toll aufnehmenden Titel, Ich & Earl & das sterbende Mädchen. Der drohende Tod ist in der Storyline auch der treibende Aspekt, sodass sich mir absolut entzieht, warum Fox den deutschen Verleihtitel mal wieder so abschwächt. Das Beeindruckende an dieser Tatsache ist allerdings, dass dieses Manko, das dem Film selbst nicht vorzuwerfen ist, nahezu die einzige Schwäche eines großartigen Coming-of-Age- Dramas wurde. Die Geschichte des Highschool-Schülers Greg, der seine Freizeit gemeinsam mit seinem besten Freund Earl dem Nachdrehen von Filmklassikern widmet, bekommt einen entscheidenden Einschnitt, als er von seiner Mutter gezwungen wird, sich seiner an Leukämie erkrankten Nachbarstochter anzunehmen. Fortan begeistert Ich & Earl & das Mädchen besonders durch das Zusammenspiel der beiden Jungdarsteller Thomas Mann und Olivia Cooke, die beide auch in langen, schnittfreien Sequenzen durch ihren intensiven Ausdruck überzeugen. Ihr einfühlsames Miteinander überträgt sich anstandslos auf den Zuschauer, der generell nie durch Fremdschämmomente und triefenden Kitsch den Anschluss zu den Protagonisten verliert. Das Drehbuch bietet dazu punktierte Dialoge und eine vielschichtige Entwicklungsstory, die das Erwachsenwerden niemals als reine Abhandlung spezieller Ereignisse darstellt. Ich & Earl & das Mädchen ist zusätzlich in vielerlei Hinsicht ein absolutes Highlight für Filmbegeisterte. Wenn Greg und Earl Filme wie A Sockwork Orange oder 2:48 pm Cowboy drehen, Regisseur Alfonso Gomez-Rejon mehrfach das europäische Kino zitiert (er scheint einen besonderen Gefallen an den Werken von Klaus Kinski und Werner Herzog gefunden zu haben), oder Klassiker der Filmmusik in den Streifen integriert werden, hüpft das Herz eines jeden Kinofreundes vor Begeisterung. Dazu ließ sich Gomez-Rejon spürbar von den Werken Wes Andersons inspirieren. Kostüme und Set-Design sind an Skurillität kaum zu überbieten und tragen so beachtlich zur lakonischen Grundstimmung bei. Außerdem überrascht Ich & Earl & das Mädchen wiederholt durch unerwartete Kameraarbeit und den Einsatz von Stop-Motion-Technologie, die zusätzlich das Amateurfilmertum der titelgebenden Jungen feiert. Mit Nick Offerman (Parks & Recreation, 21 Jump Street) und Jon Bernthal (The Wolf of Wall Street, Herz aus Stahl) konnten dazu zwei bekannte Gesichter verpflichtet werden, die in ihren Nebenrollen als Gregs Vater beziehungsweise Geschichtslehrer für die meisten Lacher sorgen. Ich & Earl & das Mädchen kann über die gesamte Laufzeit von 108 Minuten glänzen. Weder inhaltlich noch tonal gibt es in der sensiblen Kombination aus Außenseiterkomödie und Krebsdrama Verfehlungen irgendwelcher Art. Herzhafte Schenkelklopfer und zu Tränen rührende Dialoge ergänzen sich hier hervorragend. Ein bewegender Film.

9/10

Für Fans von: Margos Spuren, Das Schicksal ist ein mieser Verräter, Juno

Die Dinos sind los



Arlo & Spot

2015 war es endlich wieder soweit. Mit Alles steht Kopf brachte Pixar einen außergewöhnlich guten Film in die Kinos. Pete Doctors Meisterwerk über die Tiefen unserer Empfindungen richtete sich jedoch interessanterweise viel eher an Erwachsene, denn an kleine Kinder. Letztere sind nun jedoch die Zielgruppe des selbst so betitelten „Weihnachtsfilms“ des Lampen-Studios. Arlo & Spot ist eine Abenteuergeschichte für die Kleinen, die zwar optisch einiges hermacht, jedoch frei von Spannung oder Überraschungsmomenten ist. Die Ausgangssituation ist dabei eine der absoluten Stärken des Films. Regiedebütant Peter Sohn entführt uns in eine Welt, in der niemals ein gigantischer Meteor die Erde getroffen hat und Dinosaurier gemeinsam mit allen anderen Spezies unseren blauen Planeten bevölkern. Aus der Sicht eines solchen, dem Apatosaurus Arlo, folgen wir nun den Ereignissen. Die Dinosaurier werden dabei als fortschrittliches Völkchen mit Familiensinn charakterisiert. Ihr Überleben sichert folgerichtig der Ackerbau. Der Menschenjunge Spot, der im Verlaufe des Films an Arlos Seite geriet, ist für jenen (und den Zuschauer damit auch) in Verhalten und Sprache zu Beginn unverständlich. Hier wird eine typische Kind-Hund-Beziehung herrlich ad absurdum geführt. Während Spot demzufolge als neugierig, mutig und durchsetzungsfähig gezeigt wird, muss Arlo im Laufe der 95 Minuten Laufzeit seine Angst überwinden. Denn anders als es der deutsche Verleihtitel verlauten lässt, steht die Freundschaftsgeschichte der ungleichen Jungen eher im Hintergrund der Story. Im Fokus der Erzählung steht Arlos Entwicklung, die durch den Tod seines Vaters und die Konfrontation mit der rauen Natur gekennzeichnet ist. Der Originaltitel des Films, The Good Dinosaur, hätte in seiner Übersetzung die Kernaussage des Films deutlich besser wiedergegeben. In klassischer Abenteuerfilmmanier muss Arlo auf seiner beschwerlichen Reise verschiedenste Gefahren überstehen. Die Filmemacher nutzen diese immer wieder um mehr oder weniger deutlich auf Klassiker des Genres einzugehen. So sind Parallelen zu König der Löwen, Der mit dem Wolf tanzt oder Der Herr der Ringe zu entdecken. An die Tolkien-Verfilmungen erinnert vor allem der Score des Oscarpreisträgers Mychael Denna (gewann den Preis 2012 für Life of Pi, ein Streifen, der auch für einige Szenen in Arlo & Spot Pate stand) der hier mit seinem Bruder Jeff leider in Sachen Aufdringlichkeit und Orchestrierung oftmals über das Ziel hinaus schießt. Die Arbeit der Animatoren hingegen ist tadellos. Selbst kleinste Details bleiben im weitläufigen 3D des Films mühelos erkennbar, dazu ist die Gestaltung des Wassers, an dem sich die Qualität einer Animation recht gut erkennen lässt, sehr sauber gelungen. Wer also einen Film auf dem Qualitätslevel der großen Pixarklassiker erwartet, wird enttäuscht werden. Dafür ist die Handlung zu vorhersehbar, die Figuren zu eindimensional und die Botschaft zu schlicht gestrickt. Eineinhalb Stunden gute Unterhaltung für Kinder sind mit Arlo & Spot jedoch gewiss.

6/10

Für Fans von: In einem Land vor unserer Zeit, Ice Age



Dienstag, 24. November 2015

Selig sind die geistig starren



El Club

„Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Dunkelheit“ (Gen 1.4). Dieses Zitat aus der biblischen Schöpfungsgeschichte stellt der Chilene Pablo Larrain seinem neusten Werk El Club voran. Schnell offenbart sich jedoch, dass die katholische Kirche und ihre Vertreter Licht und Dunkelheit keinesfalls unterscheiden wollen. El Club erzählt die Geschichte vierer Priester, die am Rande eines verlassenen chilenischen Dorfes ihr Dasein fristen. Aus verschiedenen Gründen wurden sie alle aus der Kirche ausgeschlossen, unter der Aufsicht einer auffällig freundlichen Ordensschwester mit ebenfalls komplizierter Vergangenheit verbringen sie nun ihren Lebensabend in diesem heiligen Exil. Ohne auf allzu plakative Rückblenden zuzugreifen, entfaltet sich die Vergangenheit der Protagonisten langsam, aber eindringlich im Kopf des Zuschauers. Diese fällt in Form des Missbrauchsopfers Sandokan ähnlich unbarmherzig, wie das raue Küstenklima über den trügerischen Frieden der Gemeinschaft ein. Dessen markerschütternde Monologe übernahm Larrain nach eigener Aussage von realen Geschädigten. Fortan beschäftigt sich El Club mit dem großen Thema kirchliche contra zivile Gerechtigkeit. Die Position, die ein jeder nach Betrachten dieses Streifens einnehmen wird, ist schnell geklärt, die Kunst des Films besteht viel mehr darin, das unbegreifliche Grauen in seiner Wirkung darzustellen, ohne reine Anklage zu sein. El Club vermeidet simple Schuldzuweisungen, sondern entfacht durch ein präzises Zusammenspiel von Inhalt und Form einen lodernden Hass gegen Ignoranz und Unantastbarkeit der Kirchenoberen im Kopf des Zuschauers. Larrain nutzt hierfür beispielsweise permanente Unschärfen in der Kameraarbeit für die Darstellung des Verschwimmens jeglicher moralischer Grenzen. Hier vermittelt die Atmosphäre das nicht sichtbare. Generell steht einer fast kammerspielartigen, minimalistischen Inszenierung einen maximale Aussagekraft gegenüber. An dieser Stelle sei diesbezüglich auch auf den hervorragenden Score hingewiesen, der sich sukzessive steigert und bis zum unerbittlichen Finale stetig besitzergreifender wird. Auch auf einer zweiten Ebene ist El Club ein wichtiger Film geworden. Eine Kernaussage des Streifens ist die Angst der Kirche vor der Macht der Medien. Nur durch deren Einfluss scheint die realitätsferne Parallelwelt der chilenischen Kleriker ins Wanken zu geraten. Auch außerhalb dieses Films sollte der Einfluss von Pablo Larrain daher nicht unterschätzt werden. Schon mit seinem letztem Werk, Chiles ersten jemals oscarnominierten Film No, konnte er einige Aufmerksamkeit auf Verstrickungen zwischen Politik und Medien lenken. Auch El Club steht nun auf der Auslands-Shortlist der Academy und gewann bereits den Großen Preis der Jury auf der Berlinale. El Club fordert den Zuschauer wahrlich heraus. Fernab jeglicher Moralvorstellungen, egal ob auf persönlicher Ebene oder auf die Institution Kirche bezogen, gilt es letztlich selbst Antworten zu finden. Dieser Film ist eine ungemütliche, aber lohnende Erfahrung.

8/10

Für Fans von: Am Sonntag bist du tot, Verfehlung

Donnerstag, 19. November 2015

Sinn und Sinnlosigkeit des Lebens



Irrational Man

In diesem Dezember wird er 80 Jahre alt. Und dennoch vermag uns die Arbeitsmoral eines Woody Allen kaum noch zu verwundern. Zielsicher und ohne größere Ausfälle spult der Altmeister sein im Grunde wahnsinniges Pensum von einem gedrehten Film pro Jahr herunter. Sicher wie das Amen in der Kirche können sich seine treuen Jünger darauf freuen, Allens neusten Streich im Herbst eines jeden Jahres zu Gesicht zu bekommen. So auch 2015. Für Irrational Man, der im Mai auf den Filmfestspielen von Cannes Weltpremiere feierte, übernahm der Stadtneurotiker einmal mehr den Regieposten und schrieb natürlich auch das Drehbuch zum Film. Auf einen Auftritt vor der Kamera verzichtet er allerdings wieder. Der titelgebende irrationale Mann ist Philosophieprofessor Abe Lucas, der desillusioniert vom Leben lustlos seinem Job nachgeht, in seinem Fachgebiet zwar ein echtes Genie, im Privatleben allerdings ein absolutes Wrack mit Alkoholproblem ist. Für diese Rolle konnte Woody Allen mit Joaquin Phoenix natürlich eine Idealbesetzung finden. Scheinbar mühelos verkörpert er den abgehalfterten Professor ohne jedoch seiner glänzenden Performance in Inherent Vice aus diesem Frühjahr nahe zu kommen. Allens aktuelle Muse Emma Stone darf ihm in der Rolle einer begeisterten Studentin dann auch regelmäßig Szenen stehlen. Detaillierter in die Handlung einzugehen, käme einem echten Frevel gleich. Denn was Allen nach einer guten halben Stunde Laufzeit aus dem Ärmel schüttelt, hat mich wirklich begeistert. Die betuliche und im Grunde vollkommen triviale Geschichte nimmt erstaunliche Wendungen und kann bis zum Schluss bestens unterhalten. Dennoch schwankt der Film teilweise recht unentschlossen zwischen Komödie, Thriller, Satire und Liebesgeschichte hin und her. Wenn Allen die Haupthandlung für einige Minuten ruhen lässt, kann ich einem jeden Zuschauer den Blick auf die Uhr nachempfinden. Auch wenn in Irrational Man stets eine unterschwellige Spannung herrscht, hätte besonders das dritte Viertel straffer erzählt werden können. Glücklicherweise kommt der Streifen mit einer knappen Gesamtlänge von 95 Minuten aus, sodass diese Unwägbarkeiten nicht übermäßig ins Gewicht fallen. Ansonsten gibt es typische Woody Allen-Kost mit sonnendurchfluteten Bildern, einer kleinen Prise Eskapismus, Frauen in bunten Sommerkleidern und viel Jazzmusik. Somit bietet Irrational Man eineinhalb Stunden vergnügliche Unterhaltung, die sich Fans natürlich nicht entgehen lassen sollten. Einen echten Klassiker für sein Œuvre hat Woody Allen in diesem Jahr jedoch nicht geschaffen.

7/10

Für Fans von: Match Point, Magic in the Moonlight, Cocktail für eine Leiche

Donnerstag, 5. November 2015

Der Tod steht ihm gut



James Bond 007 – Spectre

Casino Royale, Ein Quantum Trost und Skyfall etablierten viele Neuheiten innerhalb des James Bond-Franchises, die die Actionserie im neuen Millennium verankerten. Nicht umsonst war kein Akteur als 007 bislang erfolgreicher an den Kinokassen als Daniel Craig. Mit Spectre scheint sich nun in vielerlei Hinsicht ein Kreis zu schließen. Der rote Faden und die vielen losen Enden, die Craigs bisherige Filme offen ließen, führen nun zu einem in jeder Hinsicht überraschenden und ungewöhnlichen Bond-Abenteuer. Spectre knüpft zeitlich direkt an seinen Vorgänger Skyfall an und taucht tiefer in Geheimnisse aus Bonds Vergangenheit ein. Ein besonderes Augenmerk legt der Film auf die neu besetzten MI6- Mitarbeiter M, Q und Monneypenny, die mit ihrer starken Verwicklung in den Storyverlauf für einige echte Highlights sorgen. Überhaupt bindet Regisseur Sam Mendes, der sich auch schon für Skyfall verantwortlich zeigte, viele klassische Elemente aus der Connery-Ära ins Geschehen ein. So bekommen wir einen abgeschieden lebenden Bösewicht mit übermenschlichem Helfer (Dave Bautista macht als Mr. Hinx eine klasse Figur), einen großartig gefilmten Zugfight und den legendären Aston Martin DB5 ebenso zu sehen, wie die klassische Gunbarrel-Sequenz, die erstmals einen Craig-Bond eröffnet. Generell ist der Fan-Service in Spectre ziemlich ausgeprägt, Freunde der Reihe werden großen Spaß haben, Andeutungen und Querverweise zu anderen 007-Filmen zu finden. Auf gewohnt brilliantem Niveau bewegen sich dazu die Arbeit von Set-Designern und Kostümbildnern. Spectre ist von Minute 1 bis 148 die reinste Augenweite. Dazu trägt auch die großartige Kameraarbeit des Niederländers Hoyte van Hoytema (Her, Interstellar) bei, der sich hinter der oscarnominierten Leistung von Roger Deakins aus Skyfall nicht verstecken muss. In diesem Zusammenhang sei auf die perfekt getimte Pre-Title-Sequenz hingewiesen. Spectre beginnt mit atemberaubenden Stunts, einer aufwendig choreografierten Massenszene und einer beeindruckenden mehrminütigen Plansequenz. Generell verpasst Mendes dem Streifen einen ungewohnt künstlerischen Arthousetouch. Bei Titelsong und Creditscene funktioniert das auch noch bestens (trotz durchwachsener Meinungen in der Öffentlichkeit halte ich Writings on the Wall von Sam Smith hinsichtlich Orchestrierung und Melodieführung für einen bewegenden Bond-Song), die Verknüpfung von Inhalt und Form hat hingegen einige Schwächen. Mit Bonds Rachemission, seiner Vergangenheitsbewältigung, einem Subplot um totale Überwachung sowie dem Kampf gegen Spectre-Chef und Superschurke Franz Oberhauser wirkt das Drehbuch teilweise überlastet. Die einzelnen Storyfäden gehen nicht Hand in Hand. Dazu lässt sich Mendes enorm viel Zeit jede einzelne Geschichte auszuerzählen, was, obwohl Spectre sogar verhältnismäßig offen endet, das letzte Drittel des Films doch arg in die Länge zieht. Während die meisten Szenen in sich spannend inszeniert sind, kann Spectre die große Spannungskurve nicht über zweieinhalb Stunden aufrecht erhalten. Weiterhin Überraschendes lässt sich vom Cast des Streifens berichten. Es ist ausgerechnet der zweifache Oscargewinner Christoph Waltz, der hier mit Dienst nach Vorschrift unter dem sonst sehr starken Schauspielensemble zurückfällt. Eine besondere Erwähnung verdient meiner Meinung nach hingegen Lea Seydoux. Spectres Bondgirl ist eine vielschichtige und ebenbürtige Kämpferin an der Seite des Geheimagenten, die großartig von einer der besten Schauspielerinnen ihrer Generation verkörpert wird. Daniel Craig selbst hat 007 mittlerweile komplett verinnerlicht. Jedes Augenzwinkern und jeder lockere Spruch sitzt genauso, wie längere und intensivere Dialogszenen, von denen Spectre doch einige zu bieten hat. Mit seinem fast minimalistisch-kunstvollen Anstrich auf der einen und seinem klassisch-humorvollem Einschlag auf der anderen Seite, rundet Spectre die Craig-Ära zufriedenstellend ab.

8/10


Für Fans der James Bond-Reihe

Freitag, 30. Oktober 2015

Die Anklage der Nachkriegsgeneration



Der Staat gegen Fritz Bauer

Das Wirken des Fritz Bauer (1903-1968) wurde von der deutschen Geschichtsschreibung bislang sträflich vernachlässigt. Als hessischer Generalstaatsanwalt sorgte er maßgeblich für die juristische Einordnung der Taten des Naziregimes. So wurden durch seine Arbeit die Attentäter des 20.7.1944 rehabilitiert, ebenso rückte er den Begriff des Unrechtsstaates ins öffentliche Bewusstsein. Bauers größter Verdienst ist aber zweifellos in der Ermöglichung der Frankfurter Auschwitzprozesse 1963-1968 zu sehen. Dank seiner Recherche konnte mit der Ergreifung des Lagerkommandanten Adolf Eichmann durch den israelischen Geheimdienst Mossad in Argentinien 1960 die juristische Aufarbeitung der Machenschaften des Dritten Reichs beginnen. Mit diesem entbehrlichem Stück seiner Biografie setzt sich der 10fache Tatort-Regisseur Lars Kraume nun in Der Staat gegen Fritz Bauer auseinander. Der Schwerpunkt des Films liegt dabei keinesfalls auf den eigentlichen Gerichtsverhandlungen. Vielmehr beschäftigt sich Kraume mit den Auswirkungen der misslungenen Entnazifizierung in den 50er Jahren. Eindrucksvoll wird dies anhand des sogenannten „Schwulenparagraphs“ gezeigt. §175 des deutschen Strafgesetzbuches, das homosexuelle Handlungen mit bis zu 5 Jahren Gefängnis bestrafen ließ, wurde unter Herrschaft der Nationalsozialisten zur Verfolgung von gleichgeschlechtlich Liebenden genutzt (circa 6000 Homosexuelle starben in den letzten Kriegsjahren in Konzentrationslagern) und hatte in der Bundesrepublik bis 1973 Bestand. Der zum Schein verheiratete Fritz Bauer kämpfte als Homosexueller für die Abschaffung dieses Paragraphen, machte sich jedoch für seine Gegner somit verwundbar. Auf diesem Konflikt etabliert Der Staat gegen Fritz Bauer eine dichte und spannende Thrillerhandlung. Regisseur Kraume inszeniert den Streifen dabei als dialoglastiges Duell der Weltanschauungen. Mit präzise gefilmten und geheimnisvoll ausgeleuchteten Bildern schafft er eine Atmosphäre, die Fritz Bauers Ausspruch „Wenn ich mein Dienstzimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland“ greifbar macht. Der allgegenwärtige Zigarettenqualm unterstreicht die verstaubten Ansichten einflussreicher Menschen noch zusätzlich. Mit Burghardt Klaußner (Elser – Er hätte die Welt verändert, Diplomatie, 23 – Nichts ist so wie es scheint) kann sich Kraume dabei auf einen erfahrenen Schauspieler in seiner Hauptrolle verlassen, der Bauers Kampf gegen die Windmühlen der deutschen Justiz und die damit einhergehenden Entbehrungen glaubhaft verkörpert. An seiner Seite vervollständigen Roland Zehrfeld, Sebastian Blomberg sowie die Tatort- Kommissare Jörg Schüttauf und Robert Atzorn das tolle Ensemble. Indem er den realen Fritz Bauer zu Beginn des Films selbst auftreten lässt, beantwortet der Film ganz selbstverständlich die Frage nach dem Sinn der etwa 50 Verfahren gegen ehemalige KZ- Aufseher, die seit 2011 ins Rollen kamen. Diese sind zweifellos notwendig, da die Aufarbeitung des Holocaust zu lange verhindert wurde. Der Staat gegen Fritz Bauer, der mit seiner detailgetreuen Herangehensweise bei den Filmfestspielen in Locarno den Publikumspreis gewann, ist somit ein wichtiger und mitreißender Film geworden.

8/10

Für Fans von: Im Labyrinth des Schweigens, Das Urteil von Nürnberg

Donnerstag, 29. Oktober 2015

Natur und Revolution







Der letzte Wolf

1966 rief Mao Zedong seine chinesischen Landsleute zur Kulturrevolution auf. Im Zuge dessen wurden junge Männer in zivilisatorisch unterentwickelte Bereiche des riesigen Landes geschickt, um den dort Lebenden Naturvölkern die chinesische Lebensweise sowie deren Sprache und Schrift aufzudrängen. Das Schicksal eines Studenten, der 1967 zu diesem Zwecke in die innere Mongolei (nördliches Grenzgebiet Chinas zum unabhängigen Staat Mongolei) geht, wurde 2004 als erfolgreiche Autobiografie Der Zorn der Wölfe veröffentlicht und ist bis heute Chinas zweiterfolgreichstes Buch aller Zeiten (interessanterweise hat nur Maos Das kleine rote Buch, das unter anderem den Startschuss zur Kulturrevolution gab mehr Exemplare verkauft). Das unter Pseudonym publizierte Werk des Wirtschaftspolitikprofessors Lü Jiamin konnte überraschenderweise jegliche staatliche Zensur passieren und gilt bis heute als einflussreiches Werk für liberalen Chinesen. Unter den fähigen Händen des Franzosen Jean-Jacques Annaud erscheint nun die Verfilmung des Romans in den deutschen Kinos. Der Regisseur von Am Anfang war das Feuer, Der Name der Rose und Duell – Enemy at the Gates erarbeitete sich über Jahrzehnte den Ruf eines umsichtigen und detailversessenen Naturfilmers. Und so dirigierte Annaud über drei Jahre ein Heer von 500 Technikern und Tiertrainern, 200 Pferden, 1000 Schafen und 25 Wölfen und ließ Camps für die organisierte Aufzucht der wilden Tiere errichten. Dieser Aufwand ist in jeder Szene des Films zu spüren. In majestätischem 3D erzählt Der letzte Wolf vom schwierigen Miteinander von Wildnis und Mensch in Zeiten großen politischen Umbruchs. Der Wolf erscheint hierbei stellvertretend für die zerstörte Wildnis, die Maos radikale Politik in den Weiten Chinas hinterließ. Trotz der offensichtlichen Ausrichtung von Film und Vorlage, wird kein Charakter des Streifens pauschalisiert. Annaud umschifft jegliches Klischee, sorgt für viel Verständnis für das Leben der Naturvölker ohne es zu romantisieren und lässt auch Pekings eingesetzten Offizier, der die Urbarmachung der Steppe brutal zu beschleunigen sucht, als innerlich zweifelnden Befehligten auftreten. Gemeinsam mit einem eindrucksvoll monumentalen Score des verstorbenen James Horner wird Der letzte Wolf zu einem bewegenden Epos. Doch trotz aller optischer Größe des Films, schleichen sich in die eigentlich moderate Laufzeit von 119 Minuten verschiedene Längen ein. Im Gegensatz zu einzelnen Szenen (besonders die Jagdsequenzen sind bahnbrechend visualisiert und enorm spannend), fehlt dem gesamten Werk eine schlüssige Dramaturgie. Der Ablauf der Handlung erscheint recht zufällig und unzusammenhängend. Ein roter Faden wird dem Zuschauer nicht gegeben. Als handwerklich meisterliches Spätwerk Annauds weiß Der letzte Wolf dennoch zu begeistern.

8/10

Für Fans von: Der mit dem Wolf tanzt, Am Anfang war das Feuer

Dienstag, 27. Oktober 2015

Die drei Seiten des Gesetzes



Black Mass

James „Whitey“ Bulger wurde 84 Jahre, ehe das amerikanische FBI ihn für seine Taten ins Gefängnis stecken konnte. Der irischstämmige Gangsterboss und glühender IRA- Unterstützer kontrollierte in etwa zwischen 1972 und 1994 die Bostoner Unterwelt. Schon in Martin Scorseses The Departed wurde Bulger als lebende Vorlage für Jack Nicholsons ikonische Darstellung des Mafiosos Frank Costello genutzt. Mit Black Mass kommt nun eine Adaption seines realen Lebens in die Kinos. Ein solches Gangster-Bio-Pic steht und fällt natürlich mit seinem Hauptdarsteller. Regissuer Scott Cooper, der schon in seinem Vorgänger Auge um Auge ein exzellentes Händchen für Schauspielerführung bewies, findet hier überraschenderweise mit Johnny Depp die perfekte Besetzung für James Bulger. Nach qualitativen und finanziellen Desastern, wie Mortdecai, Transcendence oder The Lone Ranger, die Depp scheinbar allesamt im Autopiloten herunterspielte, ist es eine Freude, ihn in einer bodenständigen, unbequemen und ironiefreien Rolle zu sehen. Rund um Depp versammelt Cooper dazu ein nahezu unglaubliches Ensemble von namhaften Akteuren. So können wir uns an den durchweg überzeugenden Leistungen absoluter Topstars, wie Benedict Cumberbatch, Kevin Bacon und Joel Edgerton, bekannter Nebendarsteller, wie Peter Saarsgard (Blue Jasmine, Jarhead – Willkommen im Dreck) und Rory Cochrane (Argo, Public Enemies), großartiger Serienschauspieler, wie Corey Stoll (House of Cards) und Jesse Plemons (Breaking Bad), sowie aufstrebender Nachwuchsdarstellerinnen, wie Dakota Johnson (Fifty Shades of Grey) und Juno Temple (Sin City 2, Maleficent) erfreuen. Neben dem Cast kann Black Mass vor allem durch ein präzise eingefangenes und großartig ausgestattetes 70er und 80er Jahre Setting begeistern. Jedoch hat der Streifen auch mit Problemen zu kämpfen. Die ersten eineinhalb Stunden der 122 Minuten Laufzeit vergehen, ohne dass der Zuschauer einen Sympathieträger, oder eine Identifikationsfigur zu sehen bekommt. Das fehlen einer Haupthandlung macht sich dabei zusätzlich negativ bemerkbar. Black Mass wirkt teilweise fast schon dokumentarisch. Leider stehen sich damit Inszenierung und Geschichte gegenseitig im Wege. Wenn im letzten Teil des Films die Jagd auf James Bulger eröffnet ist, wird die Story ziemlich überhastet abgeschlossen. Das Timing des Films ist im Ganzen nicht wirklich stimmig. Trotz allem kämpft sich Black Mass erfreulich nachvollziehbar durch ein gutes Dutzend relevanter Charaktere und weiß zu unterhalten. Zu den Genregrößen eines Coppola oder Scorsese fehlt dann aber doch einiges an Größe und Vision. Somit bleibt Black Mass ein toll gespielter, jedoch nur leicht überdurchschnittlicher Mafiastreifen mit tollem Look.

7/10

Für Fans von: The Departed, Das Leben nach dem Tod in Denver, American Hustle

Freitag, 23. Oktober 2015

Das perfekte Chaos




A perfect day

Es ist ein klassisches Stilmittel des Films, Krieg und Katastrophen mit Humor entgegenzustehen. Zwei der herausragendsten Komödien, die je gedreht wurden (Der große Diktator, Dr. Seltsam, oder wie ich lernte die Bombe zu lieben) erreichen trotz offensichtlichen Klamauks eine enorme emotionale Fallhöhe durch ihre Verwurzelung in der grausamen Realität ihrer Zeit. Der Spanier Fernando León de Aranoa schickt sich nun an, den Horror des Balkankrieges Mitte der neunziger Jahre ironisch zu brechen. In A perfect day folgen wir einigen Mitgliedern einer Hilfsorganisation, die den vergifteten Brunnen eines vom Krieg gebeutelten Dorfes reinigen wollen. Diese edlen Absichten werden durch die Ablehnung der Einheimischen, starrsinnige Bürokraten und das allgegenwärtige Leid durchkreuzt. Das große Plus des Films ist definitiv seine Besetzung. De Aranoa castete weltweit bekannte Namen für sein internationales Team von Helfern. Der Mexikaner Benicio del Toro, der Amerikaner Tim Robbins, die Französin Mélanie Thierry, sowie die Ukrainerin Olga Kurylenko bilden ein beeindruckendes Schauspielensemble für den englischsprachigen Erstling des Regisseurs. Während die humoristischen Szenen bestens funktionieren, fehlt A perfect day der mitreißende Aspekt, der das zugrunde liegende Elend der zerstörten Balkanregion greifbar macht. Die einzelnen Teile des Films greifen so nicht ergänzend ineinander, wozu das sehr holprige Tempo des Streifen zusätzlich beiträgt. Äußerst angetan war ich hingegen von der Kameraarbeit des mehrfach ausgezeichneten Spaniers Alex Catalan, der mit seinen majestätischen Bildern der beeindruckenden Gebirgswelt des ehemaligen Jugoslawiens die Zerrissenheit der Region zusätzlich unterstreicht, und dem herrlich abgestimmten Soundtrack des Films. Die objektiven Schwächen der erzählten Story, sowie die etwas eindimensionale Charakterisierung der Figuren würden A perfect day sicherlich ins graue Mittelmaß des Kinojahrs schicken. Jedoch ist De Aranoa hier ein wirklich lustiger Streifen mit großartigem Cast gelungen, dem ich eine gute Bewertung nicht vorenthalten möchte.

7/10

Für Fans von: Three Kings, M*A*S*H



Der Mann auf dem Seil



The Walk

Am Morgen des 7. August 1974 balancierte der französische Hochseilartist Philippe Petit zwischen den Türmen des World Trade Centers hin und her. Der Coup auf den Dächern der damals höchsten Gebäude der Welt zog ein gewaltiges mediales Aufsehen nach sich. 35 Jahre später erhielt Dokumentarfilmer James Marsh mit seiner filmischen Adaption des Stoffes sogar einen Oscar für Man on wire. Kultregisseur Robert Zemeckis wählt in seinem nun erscheinenden Spielfilm The Walk einen gänzlich anderen Ansatz der Erzählung und schenkt uns dennoch zwei Stunden pure Kinomagie. Im Gegensatz zur journalistischen Aufarbeitung der Geschehnisse in Man on wire, etabliert Zemeckis hier eine Larger-than- Life-Story aus der Sicht des Protagonisten. Joseph Gordon-Levitts Philippe Petit selbst darf dann passend dazu auch den gesamten Film auf der Spitze der Freiheitsstatue stehend als allwissender Erzähler begleiten. Für den Erschaffer moderner Klassiker wie Zurück in die Zukunft oder Forrest Gump bietet sich diese Herangehensweise natürlich an. Und so schafft es Zemeckis auch in The Walk mit technischer Brillianz und märchenhaft-leichter Erzählstruktur das Publikum über die kompletten 123 Minuten bei Laune zu halten. Besonders ersterer Aspekt wird dem Zuschauer jedoch dauerhaft im Gedächtnis bleiben. Ohne jeden Anflug von Künstlichkeit lässt die Filmcrew nicht nur das World Trade Center in allen seinen Facetten, sondern dazu noch das unnachahmliche New Yorker 70's-Feeling auferstehen. Schon in seinem vorangegangenen Film konnte Zemeckis von seiner jahrelangen Pionierarbeit im Bereich des IMAX-3D-Verfahrens (Der Polarexpress, Disneys Eine Weihnachtsgeschichte) profitieren, doch die schwindelerregenden Aufnahmen von The Walk stellen selbst den beklemmenden Flugzeugabsturz aus Flight in den Schatten. Für Akrophobiker kann The Walk dann auch dementsprechend zu einer echten Herausforderung werden. Seine umwerfend schön eingefangenen Bilder dürften aber zweifellos jeden beeindrucken. Das Passing und die Entwicklung der Geschichte in The Walk sind hingegen noch ausbaufähig. Trotz einer verhältnismäßig opulenten Spieldauer schafft es der Film nicht seine Nebendarsteller (u.a. 24-Star James Badge Dale) adäquat ins Bild zu rücken. Lediglich Altmeister Ben Kingsley hinterlässt als Zirkusdirektor und Petits Lehrer Papa Rudy einen bleibenden Eindruck. Dazu hält sich der Streifen zulange mit der Biografie Petits auf. Die erste Stunde des Films (optisch großartig im Stil von Die fabelhafte Welt der Amelie gedreht) hat zwar zweifellos ihre Reize, streckt die Zeit bis zum atemlosen Finale von The Walk jedoch künstlich. Nichtsdestotrotz können die nahezu perfekten, letzten 45 Minuten des Films für all dies entschädigen. The Walk ist eine bildgewaltige und hochspannende Mischung aus Schelmenstück und Heistmovie und zugleich eine Hommage an New York City mit herrlich nostalgischem Swing-Soundtrack.

 8/10

Für Fans von: Man on wire, Die fabelhafte Welt der Amelie, Ocean's Eleven

Freitag, 16. Oktober 2015

Kiffende Killermaschinen


American Ultra

In den 1950er Jahren begannen amerikanische Geheimdienste die Arbeit am sogenannten MK-Ultra Programm. Dies diente unter anderem dazu, Soldaten hinsichtlich Vorhersage, Steuerung und Kontrolle des menschlichen Handelns zu steuern. Um solch abwegige Ziele zu erreichen (vordergründig gab die USA-Regierung erweiterte Verhörmethoden gegen feindliche Spione zu Zeiten des Kalten Krieges als eigentliches Ziel des Programms aus), wurden in hohem Maße halluzinogene Drogen an Gefängnisinsassen verabreicht, von denen einige an diesen Experimenten starben. Auf medizinischer Seite griff die CIA derzeit zusätzlich auf die Hilfe der deutschen KZ-Ärzte Kurt Blome und Walter Paul Schreiber zurück. Einigen wird dieser kurze geschichtliche Abriss zweifellos bekannt vorkommen. Denn die Geschehnisse rund um das MK-Ultra Programm wurden filmisch bereits in Werken wie den Manchurian Kandidat-Streifen, Fletchers Visionen und Shutter Island verarbeitet. Nun versucht der iranisch-britische Musikclipregisseur Nima Nouziradeh (Project X) der heiklen Hintergrundgeschichte eine schwarzhumorige Entsprechung in der heutigen Zeit zu geben. In American Ultra folgen wir Kiffer Mike, der seiner Freundin eigentlich nur einen Heiratsantrag machen will, sich schlagartig aber zwischen den Fronten der Geheimdienste wiederfindet. Mit Jesse Eisenberg und Kirsten Stewart hat Nouziradeh natürlich eine Idealbesetzung für das Stonerpärchen gefunden. Der romantische Aspekt des Films ist dann auch derjenige, der American Ultra am besten zu Gesicht steht. Denn im Gesamten ist der Streifen äußerst wirr. Die nach 10 Minuten komplett vorauszuahnende Geschichte schafft es in keinster Weise den Zuschauer über die Laufzeit von 96 Minuten zu unterhalten. Alle Figuren sind nach Schema F angelegt wurden, Überraschungen bleiben völlig aus, dazu wiederholen sich Szenenabläufe ständig. American Ultra versucht sich als Mischung aus Stonerfilm, Jason Bourne-Parodie und Splatter-Action zu profilieren. Die einzelnen Teile greifen jedoch nicht ineinander. Zusätzlich lässt Nouziradeh den kompletten Film bei Nacht spielen, was äußerst ermüdend wirkt. Zugegeben kann American Ultra mit einigen durchgeknallten Ideen und zündenden Gags punkten, auch die Gastauftritte von Bill Pullman und John Leguizamo wissen zu gefallen. Schlussendlich kann der Streifen trotz seiner Prämisse Hirn-aus-Spaß-an nicht verbergen, dass hier zu krampfhaft versucht wurde, einen Kultfilm zu schaffen. 

4/10

Für Fans von: Hot Fuzz, Ananas Express

Sonntag, 11. Oktober 2015

Er schafft es nochmal



Der Marsianer

Die letzten vier Filme des Altmeisters Ridley Scott konnten bei Kritik und Publikum bestenfalls mittelmäßig punkten. Robin Hood, Prometheus, The Counselor und Exodus ließen vieles fehlen, das Meisterwerke des Regisseurs, wie Alien, Blade Runner oder Gladiator ausmachte. Mit nunmehr 77 Jahren lag der Gedanke nicht fern, Scotts Planungen (unter anderem noch mehrere Alien-Sequels zu verwirklichen) könnten ihm über den Kopf gewachsen sein. Dazu verlagerte er die Story seines aktuellen Werkes auf den Mars. Der rote Planet ist seit jeher Kassengift. Disney hatte sich vor drei Jahren mit John Carter erst an dieser Thematik verhoben. Doch aller Unkenrufe zum Trotz ist Der Marsianer ein brillianter Film geworden. Mit Gravity und Interstellar standen schon in den vergangenen beiden Jahren zwei Science-Fiction-Epen im Mittelpunkt der filmischen Aufmerksamkeit. Und so liegt der Schluss nahe, dass Der Marsianer auf dem Erfolg dieser Filme aufbaut. Doch Scott vermeidet die Unzulänglichkeiten beider Streifen (die melodramatische Kopflastigkeit von Interstellar sowie die Zentrierung auf technische Aspekte in Gravity) und schuf stattdessen einen lupenreinen Abenteuerfilm für ein breites Publikum. Als titelgebender Gestrandeter darf Matt Damon mit überraschender Tiefgründigkeit überzeugen. Sein Mark Watney ist durch sein mutiges Handeln und seinen schwarzen Humor die ultimative Identifikationsfigur. Damon begeistert jedoch auch in den leiseren und traurigeren Szenen. Generell kann man den Eindruck gewinnen, der Film könnte seinem enormen Cast nicht gerecht werden. Doch Scott schafft es jeder Figur den nötigen Spielraum zu geben, ohne Der Marsianer unnötig in die Länge zu ziehen. So können wir uns am who-is-who der vergangenen Jahre mit Jessica Chastain, Kate Mara, Chiwetel Ejiofor, Michael Pena und Kirsten Wiig erfreuen, die von den alten Hasen Sean Bean und Jeff Daniels unterstützt werden. Besonders auffallend ist weiterhin die enorme Detailfreude, mit der Der Marsianer daherkommt. Die Set Designer leisteten begeisterungswürdige Arbeit und schufen gemeinsam mit den monumentalen, aber niemals übertrieben künstlichen Bildern von Fluch der Karibik-Kameramann Darius Wolski eine beeindruckende Grundstimmung, die einen Flug zum Mars absolut authentisch im Jahr 2015 verankert. Somit kann jeder Zuschauer während der gesamten 144 Minuten Laufzeit stets Neues entdecken. Der Marsianer ist ein wahrlich witziges und zugleich hochspannendes Weltraumabenteuer, das nie versucht philosophische Exkurse in seinen Handlungsverlauf einzubetten, sondern sich wohltuend auf seine Robinson Crusoe im All-Geschichte konzentriert. Heraus kam ein meisterlich gespielter und gestalteter Film, dem ich nur durch seinen sehr konventionellen Handlungsablauf die Bestnote verweigere.

9/10

Für Fans von: Apollo 13, Gravity, Wall-E

Donnerstag, 8. Oktober 2015

Erfolg lag ihm im Blut



The Program – Um jeden Preis

Seit vielen Jahren versuchen Organisatoren und Teilnehmer des legendärsten Straßenradrennens der Welt die Tour de France wieder als ernstzunehmenden sportlichen Wettkampf für die öffentliche Wahrnehmung zurückzugewinnen. An vorderster Front waren es die Enthüllungen um den siebenfachen Toursieger Lance Armstrong und dessen Team, die professionellen Radsport in der medialen Berichterstattung zur Randnotiz werden ließen und diesen nur in Zusammenhang mit Dopingenthüllungen betrachteten. Man ist gewillt, sich diesem Eindruck nach Sichtung von Stephen Frears The Program anzuschließen. Basierend auf dem Enthüllungsbuch 'Seven Deadly Sins: My Pursuit of Lance Armstrong' von David Walsh erschuf der Philomena- und The Queen-Regisseur ein hoch spannendes und brilliant gespieltes, aber etwas uneinheitliches und wirres Drama. Mit enormem Aufwand und greifbaren Ambitionen zeichnen die Filmemacher ein Portrait des amerikanischen Radsportprofis von 1993 bis 2013. Seine Wandlungen und Motivationen bilden das Zentrum der Geschichte. Glücklicherweise konnte Frears mit Ben Foster einen ausgezeichneten Charaktermimen als Hauptdarsteller gewinnen, der diesen undurchsichtigen Sportler in allen Facetten großartig verkörpert. Der zweite herausragende Schauspieler des Streifens ist zweifellos Breaking Bad-Star Jesse Plemons als Armstrongs Rivale Floyd Landis. Besonders in der zweiten Hälfte des Films sorgt das intensiv gespielte Duell dieser ehemaligen Verbündeten für eine packende Intensität auf der Leinwand. Dazu ist Regisseur Frears fast schon krampfhaft um Kreativität bemüht. Ein großes Aufgebot an Charakteren, viele Rückblenden, dazu Gegenschnitte und Montagesequenzen bilden den großen Anspruch der Verantwortlichen heraus, sorgen aber auch für einen uneinheitlichen Inszenierungsstil, der makabererweise bestens zur chaotischen Dramaturgie des Films passt. Das zentrale Problem von The Program ist seine Unentschlossenheit. Dem Zuschauer werden stetig Richtungswechsel geboten, die den Streifen zwischen Spielfilm und Dokumentation wechseln lassen. Dies schadet Tempo und Fluss natürlich immens. Das zweite große Manko geht dann auch damit einher. Denn zu Beginn von The Program wird Journalist David Walsh als Hauptfigur eingeführt. Seine Arbeit zur Offenlegung der Dopingpraxis im Radsport soll Fundament der Geschichte sein. Doch wie auch der Stil des Films wird David Walsh über weite Strecken der 104 Minuten Laufzeit ignoriert. Somit verlieren sich Stephen Frears und The Program irgendwo zwischen Enthüllungsthriller, Sportdrama und Bio-Pic. Dieser Fakt wiegt umso schwerer, da der Film die Systematik des Betrugs am Radsport glänzend recherchiert offenlegt und den Zuschauer zur weiteren Beschäftigung mit der Thematik anregt. 

6/10

Für Fans von: Die Unbestechlichen, The Armstrong Lie


Hitler geht immer



Er ist wieder da

Über 2 Millionen verkaufte Bücher sowie Übersetzungen in 41 Sprachen machten aus Timur Vermes Debütroman eines der erfolgreichsten deutschen Prosawerke des neuen Millenniums. Die nun erscheinende Verfilmung von Er ist wieder da erzählt wie seine literarische Vorlage von den Erlebnissen des realen Adolf Hitlers, der im heutigen Berlin auf unerklärlicher Weise erwacht. Vermes schuf damit ein Musterbeispiel für politische und mediale Satire. Schließlich schickt sich Hitler an, mithilfe des Fernsehens erneut die Macht über Deutschland an sich zu reißen. Regisseur David Wnendt legt in seiner Adaption den zentralen Aspekt gleichermaßen auf diese beiden Themen. Dabei gelingt ihm, trotz der im Kern schon völlig abstrusen und zugleich bemerkenswerten Geschichte, eine ebenbürtige Medienschelte. Besonders Hitler im Verlauf des Films als Youtube-Star zu profilieren, steht als gutes Beispiel für das Zusammenwirken beider Gesichtspunkte. Hier wird zum einen deutlich, wie sich auch die neuen Medien auf alles stürzen, das nach Sensation riecht, zum anderen sehen wir, wie Hitler durch wirksame Propaganda auch heute noch begeistern kann. An dieser Stelle sei auch der Mut der Filmemacher hervorgehoben, die sich nicht zu Gunsten einer klassischen Komödie davon abhalten ließen, politisch Position zu beziehen und dem deutschen Volk einen Spiegel vorzuhalten. Von vorn herein macht Er ist wieder da völlig klar, dass der Nährboden für einen weitere Diktatur in der heutigen Zeit problemlos zu finden ist. Doch nicht nur thematisch bleibt der Streifen über seine Laufzeit von 116 Minuten spannend. Mit einem abwechslungsreichen Mix aus Satire und Mockumentary kann Er ist wieder da auch filmisch überzeugen. Dazu sind die auf den ersten Blick uninteressantesten Figuren, Senderchefin Bellini, sowie Produzent Sensenbrink mit Katja Riemann und Christoph Maria Herbst bestens besetzt. Zwei Schauspieler, die ihre gespielten Charaktere stets durch die eigene mediale Omnipräsenz überlagern, als wandelnde Klischees zu casten, hat mir äußerst gut gefallen. Dazu geht der Film noch einen Schritt tiefer in die ohnehin schon stark gestaltete Vermischung aus Realität und Fiktion (von teilweise gezeigten Reaktionen auf Hitlers Wiedererwachen lässt sich nicht sagen, ob diese gestellt oder real sind) als dessen Vorlage, da der Führer wiederum eine Verfilmung eines eigens geschriebenen Buch über seine Erlebnisse 69 Jahre nach seinem eigentlichen Tod in Auftrag gibt. Auch wenn Er ist wieder da im dritten Viertel dramaturgisch schwächelt und sich doch etwas zu lang geraten anfühlt, gelang David Wnendt eine topaktuelle Umsetzung eines brisanten und entlarvenden Stoffes, die ganz nebenbei noch einen grimmig-passenden Kommentar zum Thema Umwelt- und Tierschutz parat hat.

8/10

Für Fans von: Schtonk!, Mein Führer, Heil

Mittwoch, 7. Oktober 2015

Sehen und Hören



The Look of Silence

Eines der grausamsten Kapitel der Nachkriegsgeschichte trug sich 1965/66 in Indonesien zu. Der junge Staat wurde von einem Militärputsch erschüttert, die nun herrschenden Generäle sahen es als ihre Aufgabe den Kommunismus auf dem Inselstaat auszurotten. Bei den Massakern wurden etwa 1 Million vermeintliche Unterstützer und Sympathisanten der Kommunistischen Partei Indonesiens hingerichtet. Die Verantwortlichen leiteten die Staatsgeschäfte bis 1998. Noch heute sind hochrangige Mitglieder der paramilitärisch organisierten Todesschwadronen im gesellschaftlichen Leben Indonesiens anerkannt. Der amerikanische Regisseur Joshua Oppenheimer schuf mit seiner gefeierten und eindrücklichen Dokumentation The Act of Killing ein Meisterwerk, das die Massenmorde jener Zeit in die Weltöffentlichkeit brachte. Nicht zuletzt hatten auch die USA bis dato wenig Interesse die Ereignisse tiefgründig zu betrachten, da die damalige Regierung unter Lyndon B. Johnson die indonesischen Putschisten als Vorkämpfer gegen den Weltkommunismus unterstützten. Mit The Look of Silence bringt Oppenheimer nun das Schwesterwerk zu The Act of Killing in die Kinos. Anders als im oscarnominierten Werk von 2012, das die Mörder und deren Beziehung zu ihren Taten in den Vordergrund stellte, beschäftigt sich der Wahldäne in The Look of Silence mit den Opfern des Genozids, genauer thematisiert er die Suche eines Mannes nach den Verantwortlichen des Todes seines Bruders 1965. Oppenheimer selbst tritt nicht vor der Kamera auf, sondern überlässt seinem großartigen Protagonisten, dem Optiker Adi, das Feld. Dieser verwickelt Kunden, Lokalpolitiker und sogar Verwandte in Gespräche über ihre Beteiligungen an den Massakern. Das titelgebende Schweigen wird dabei zu seiner größten Stärke. Für das internationale Publikum mag dieses Schweigen entlarvend sein, Adi bewegt es zutiefst, die Verantwortlichen der Tötungen präsentieren sich aber ähnlich stolz gegenüber ihren Taten, wie andere bereits in The Act of Killing. Im direkten Vergleich allerdings schneidet The Look of Silence etwas schlechter ab. Oppenheimer fokussiert sich hier intensiver auf Einzelschicksale, was sich auch in seinem Stil niederschlägt. Dem phänomenalen Dokumentationsepos The Act of Killing kann der mit 103 Minuten fast eine Stunde kürzere The Look of Silence nicht das Wasser reichen. Dafür ist der Streifen dann zu minimalistisch gehalten. Der begonnene Zyklus aus beiden Filmen wird hingegen bestens vervollständigt. Unter großem Widerstand (man beachte den Abspann des Films, in dem zahllose Mitwirkende als Anonym genannt werden) arbeitete die Filmcrew an einem bewegenden Streifen über Geschichtsverdrängung, pervertiertes Politikverständnis und die Macht der Vergebung. Diesem Unterfangen sollten Zuschauer auf der ganzen Welt Tribut zollen.

8/10

Für Fans von: The Act of Killing, Taxi Teheran

Dienstag, 6. Oktober 2015

Taschentuch und Aktenkoffer


Man lernt nie aus

In den letzten Jahren konnte man den Eindruck gewinnen, Robert DeNiro reiche es aus, als Relikt des New Hollywood-Kinos der 70er und 80er Jahre in durchschnittlichen Ensemblefilmen den Geist der guten alten Zeit zu versprühen. Schauspielerische Totalausfälle sind vom Großmeister natürlich nicht zu erwarten, doch seine Rollen etwa in Zwei vom alten Schlag, Last Vegas oder American Hustle hatten doch hauptsächlich einen nostalgischen Unterhaltungswert. Umso schöner ist es, dass es gerade der seichten Liebeskomödienspezialistin Nancy Meyers gelang, DeNiro wieder komplett hinter einer Figur versteckt zu lassen. Denn sein Handwerk hat der zweifache Oscarpreisträger gewiss nicht verlernt. Komplett ironiefrei und mit dem Herz am richtigen Fleck erzählt Man lernt nie aus die Geschichte des 70jährigen Witwers Ben Whitaker, der die Leere in seinem Leben mit einem Praktikum in der Start-Up-Szene New Yorks zu füllen beginnt. Auf die obligatorischen Szenen, in denen Rentner als hilfsbedürftige, ewiggestrige Technikverweigerer charakterisiert werden, verzichtet Meyers glücklicherweise und erzählt, zumindest in der ersten Hälfte des Films, wie Generationen voneinander profitieren können. Das zentrale Element des Films bildet dabei die Freundschaft Bens zu seiner Chefin und Firmengründerin Jules Ostin, die hier von der bezaubernden Anne Hathaway vielschichtig porträtiert wird. Leider schwächelt Man lernt nie aus im dritten Akt. Zunehmend macht sich dann die stattliche Laufzeit von 121 Minuten sowie die Fixierung auf das Privatleben von Jules bemerkbar. Das bis dato schöne Tempo des Films wird ausgebremst und interessante Nebencharaktere, etwa die von Rene Russo verkörperte Firmenmasseurin, sowie einige andere bereits etablierte Kollegen Bens, die dazu noch von spannenden Newcomern, wie Pitch Perfect-Star Adam DeVine oder Margos Spuren-Hauptdarsteller Nat Wolff gespielt werden, verschwinden von der Bildfläche. Glücklicherweise gleitet Meyers der Film nie aus der Hand, die kleinen und großen Geschichten des Streifens werden schlüssig zu Ende erzählt. Und auch wenn Man lernt nie aus ein kleines bisschen kitschig, ein kleines bisschen konstruiert und ein kleines bisschen eskapistisch ist, macht dieses Feel-Good-Movie dank der positiven Grundaussage und einem tollen Robert DeNiro große Freude.

7/10

Für Fans von: Forrester – Gefunden, Das erstaunliche Leben des Walter Mitty

Die Brut des Teufels



Regression

In den späten achtziger und frühen neunziger Jahren machten in den Vereinigten Staaten regelmäßig Berichte über okkulte, antichristliche Gruppen die Runde, die angeblich auf satanischen Messen unvorstellbare Grausamkeiten begangen. Bis heute konnte in diesen Anschuldigungen nie ein wahrer Kern gefunden werden, Verdächtigungen und Paranoia vor nicht Greifbaren sind als Filmvorlage jedoch allemal zu gebrauchen. Und so darf sich Alejandro Amenabar für Regression mit dem beliebten Siegel 'Beruhend auf wahren Begebenheiten' schmücken. Der Mysterythriller schildert den Fall einer Jugendlichen, die ihren Vater des sexuellen Missbrauchs durch diesen und einen Kult bezichtigt. In den folgenden 107 Minuten zieht Amenabar (The Others, Vanilla Sky) alle Register eines mysteriösen Krimis mit paranormalem Touch. Das Augenmerk liegt demzufolge auch klar auf dem Aufbau von Spannung. Durch eine präzise Kameraarbeit und einen eiskalten, grauen Look (in der Kleinstadt, in der Regression angesiedelt ist, regnet es selbstredend ununterbrochen) erschafft der Film eine Athmosphäre der allgemeinen Verdächtigung. Leider steht sich der Streifen durch sein arg vorhersehbares Drehbuch damit selbst im Weg. Fans ähnlich angelegter Psychothriller werden den Verlauf der Geschichte oftmals vorausahnen können. Was Regression im Gegensatz zum Überraschungspotenzial hingegen wirklich voran bringt, ist die Leistung des Schauspielensembles. Hauptdarsteller Ethan Hawke mimt seinen leitenden Detective als eigentlich standhaften und rationalen Polizisten, der durch die Ermittlungen an seinen ureigensten Überzeugungen zu zweifeln beginnt. Der Brite David Thewlis (Die Entdeckung der Unendlichkeit, The Big Lebowski) als unterstützender Psychologe (die titelgebende Regressionstherapie ist in dessen Wissenschaft verankert) und Schwedens Hollywoodexport David Dencik als Hauptverdächtiger runden eine mehr als solide Besetzung ab. Hervorgehoben sei an dieser Stelle noch die Leistung von Harry Potter-Star Emma Watson, die den definitiv schwierigsten Job des Casts hat. Als desillusioniertes Vergewaltigungsopfer ruft sie eine beeindruckende Leistung ab und beweist einmal mehr, dass sie die talentierteste Nachwuchsschauspielerin aus den Reihen der Zauberer-Saga ist. Für Fans zwielichtiger Geschichten ist Regression somit als solide gefilmter und toll gespielter, inhaltlich aber lediglich durchschnittlicher Okkultismuskrimi durchaus empfehlenswert.

6/10

Für Fans von: The Others, Martha Marcy May Marlene, Enemy