Freitag, 30. Oktober 2015

Die Anklage der Nachkriegsgeneration



Der Staat gegen Fritz Bauer

Das Wirken des Fritz Bauer (1903-1968) wurde von der deutschen Geschichtsschreibung bislang sträflich vernachlässigt. Als hessischer Generalstaatsanwalt sorgte er maßgeblich für die juristische Einordnung der Taten des Naziregimes. So wurden durch seine Arbeit die Attentäter des 20.7.1944 rehabilitiert, ebenso rückte er den Begriff des Unrechtsstaates ins öffentliche Bewusstsein. Bauers größter Verdienst ist aber zweifellos in der Ermöglichung der Frankfurter Auschwitzprozesse 1963-1968 zu sehen. Dank seiner Recherche konnte mit der Ergreifung des Lagerkommandanten Adolf Eichmann durch den israelischen Geheimdienst Mossad in Argentinien 1960 die juristische Aufarbeitung der Machenschaften des Dritten Reichs beginnen. Mit diesem entbehrlichem Stück seiner Biografie setzt sich der 10fache Tatort-Regisseur Lars Kraume nun in Der Staat gegen Fritz Bauer auseinander. Der Schwerpunkt des Films liegt dabei keinesfalls auf den eigentlichen Gerichtsverhandlungen. Vielmehr beschäftigt sich Kraume mit den Auswirkungen der misslungenen Entnazifizierung in den 50er Jahren. Eindrucksvoll wird dies anhand des sogenannten „Schwulenparagraphs“ gezeigt. §175 des deutschen Strafgesetzbuches, das homosexuelle Handlungen mit bis zu 5 Jahren Gefängnis bestrafen ließ, wurde unter Herrschaft der Nationalsozialisten zur Verfolgung von gleichgeschlechtlich Liebenden genutzt (circa 6000 Homosexuelle starben in den letzten Kriegsjahren in Konzentrationslagern) und hatte in der Bundesrepublik bis 1973 Bestand. Der zum Schein verheiratete Fritz Bauer kämpfte als Homosexueller für die Abschaffung dieses Paragraphen, machte sich jedoch für seine Gegner somit verwundbar. Auf diesem Konflikt etabliert Der Staat gegen Fritz Bauer eine dichte und spannende Thrillerhandlung. Regisseur Kraume inszeniert den Streifen dabei als dialoglastiges Duell der Weltanschauungen. Mit präzise gefilmten und geheimnisvoll ausgeleuchteten Bildern schafft er eine Atmosphäre, die Fritz Bauers Ausspruch „Wenn ich mein Dienstzimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland“ greifbar macht. Der allgegenwärtige Zigarettenqualm unterstreicht die verstaubten Ansichten einflussreicher Menschen noch zusätzlich. Mit Burghardt Klaußner (Elser – Er hätte die Welt verändert, Diplomatie, 23 – Nichts ist so wie es scheint) kann sich Kraume dabei auf einen erfahrenen Schauspieler in seiner Hauptrolle verlassen, der Bauers Kampf gegen die Windmühlen der deutschen Justiz und die damit einhergehenden Entbehrungen glaubhaft verkörpert. An seiner Seite vervollständigen Roland Zehrfeld, Sebastian Blomberg sowie die Tatort- Kommissare Jörg Schüttauf und Robert Atzorn das tolle Ensemble. Indem er den realen Fritz Bauer zu Beginn des Films selbst auftreten lässt, beantwortet der Film ganz selbstverständlich die Frage nach dem Sinn der etwa 50 Verfahren gegen ehemalige KZ- Aufseher, die seit 2011 ins Rollen kamen. Diese sind zweifellos notwendig, da die Aufarbeitung des Holocaust zu lange verhindert wurde. Der Staat gegen Fritz Bauer, der mit seiner detailgetreuen Herangehensweise bei den Filmfestspielen in Locarno den Publikumspreis gewann, ist somit ein wichtiger und mitreißender Film geworden.

8/10

Für Fans von: Im Labyrinth des Schweigens, Das Urteil von Nürnberg

Donnerstag, 29. Oktober 2015

Natur und Revolution







Der letzte Wolf

1966 rief Mao Zedong seine chinesischen Landsleute zur Kulturrevolution auf. Im Zuge dessen wurden junge Männer in zivilisatorisch unterentwickelte Bereiche des riesigen Landes geschickt, um den dort Lebenden Naturvölkern die chinesische Lebensweise sowie deren Sprache und Schrift aufzudrängen. Das Schicksal eines Studenten, der 1967 zu diesem Zwecke in die innere Mongolei (nördliches Grenzgebiet Chinas zum unabhängigen Staat Mongolei) geht, wurde 2004 als erfolgreiche Autobiografie Der Zorn der Wölfe veröffentlicht und ist bis heute Chinas zweiterfolgreichstes Buch aller Zeiten (interessanterweise hat nur Maos Das kleine rote Buch, das unter anderem den Startschuss zur Kulturrevolution gab mehr Exemplare verkauft). Das unter Pseudonym publizierte Werk des Wirtschaftspolitikprofessors Lü Jiamin konnte überraschenderweise jegliche staatliche Zensur passieren und gilt bis heute als einflussreiches Werk für liberalen Chinesen. Unter den fähigen Händen des Franzosen Jean-Jacques Annaud erscheint nun die Verfilmung des Romans in den deutschen Kinos. Der Regisseur von Am Anfang war das Feuer, Der Name der Rose und Duell – Enemy at the Gates erarbeitete sich über Jahrzehnte den Ruf eines umsichtigen und detailversessenen Naturfilmers. Und so dirigierte Annaud über drei Jahre ein Heer von 500 Technikern und Tiertrainern, 200 Pferden, 1000 Schafen und 25 Wölfen und ließ Camps für die organisierte Aufzucht der wilden Tiere errichten. Dieser Aufwand ist in jeder Szene des Films zu spüren. In majestätischem 3D erzählt Der letzte Wolf vom schwierigen Miteinander von Wildnis und Mensch in Zeiten großen politischen Umbruchs. Der Wolf erscheint hierbei stellvertretend für die zerstörte Wildnis, die Maos radikale Politik in den Weiten Chinas hinterließ. Trotz der offensichtlichen Ausrichtung von Film und Vorlage, wird kein Charakter des Streifens pauschalisiert. Annaud umschifft jegliches Klischee, sorgt für viel Verständnis für das Leben der Naturvölker ohne es zu romantisieren und lässt auch Pekings eingesetzten Offizier, der die Urbarmachung der Steppe brutal zu beschleunigen sucht, als innerlich zweifelnden Befehligten auftreten. Gemeinsam mit einem eindrucksvoll monumentalen Score des verstorbenen James Horner wird Der letzte Wolf zu einem bewegenden Epos. Doch trotz aller optischer Größe des Films, schleichen sich in die eigentlich moderate Laufzeit von 119 Minuten verschiedene Längen ein. Im Gegensatz zu einzelnen Szenen (besonders die Jagdsequenzen sind bahnbrechend visualisiert und enorm spannend), fehlt dem gesamten Werk eine schlüssige Dramaturgie. Der Ablauf der Handlung erscheint recht zufällig und unzusammenhängend. Ein roter Faden wird dem Zuschauer nicht gegeben. Als handwerklich meisterliches Spätwerk Annauds weiß Der letzte Wolf dennoch zu begeistern.

8/10

Für Fans von: Der mit dem Wolf tanzt, Am Anfang war das Feuer

Dienstag, 27. Oktober 2015

Die drei Seiten des Gesetzes



Black Mass

James „Whitey“ Bulger wurde 84 Jahre, ehe das amerikanische FBI ihn für seine Taten ins Gefängnis stecken konnte. Der irischstämmige Gangsterboss und glühender IRA- Unterstützer kontrollierte in etwa zwischen 1972 und 1994 die Bostoner Unterwelt. Schon in Martin Scorseses The Departed wurde Bulger als lebende Vorlage für Jack Nicholsons ikonische Darstellung des Mafiosos Frank Costello genutzt. Mit Black Mass kommt nun eine Adaption seines realen Lebens in die Kinos. Ein solches Gangster-Bio-Pic steht und fällt natürlich mit seinem Hauptdarsteller. Regissuer Scott Cooper, der schon in seinem Vorgänger Auge um Auge ein exzellentes Händchen für Schauspielerführung bewies, findet hier überraschenderweise mit Johnny Depp die perfekte Besetzung für James Bulger. Nach qualitativen und finanziellen Desastern, wie Mortdecai, Transcendence oder The Lone Ranger, die Depp scheinbar allesamt im Autopiloten herunterspielte, ist es eine Freude, ihn in einer bodenständigen, unbequemen und ironiefreien Rolle zu sehen. Rund um Depp versammelt Cooper dazu ein nahezu unglaubliches Ensemble von namhaften Akteuren. So können wir uns an den durchweg überzeugenden Leistungen absoluter Topstars, wie Benedict Cumberbatch, Kevin Bacon und Joel Edgerton, bekannter Nebendarsteller, wie Peter Saarsgard (Blue Jasmine, Jarhead – Willkommen im Dreck) und Rory Cochrane (Argo, Public Enemies), großartiger Serienschauspieler, wie Corey Stoll (House of Cards) und Jesse Plemons (Breaking Bad), sowie aufstrebender Nachwuchsdarstellerinnen, wie Dakota Johnson (Fifty Shades of Grey) und Juno Temple (Sin City 2, Maleficent) erfreuen. Neben dem Cast kann Black Mass vor allem durch ein präzise eingefangenes und großartig ausgestattetes 70er und 80er Jahre Setting begeistern. Jedoch hat der Streifen auch mit Problemen zu kämpfen. Die ersten eineinhalb Stunden der 122 Minuten Laufzeit vergehen, ohne dass der Zuschauer einen Sympathieträger, oder eine Identifikationsfigur zu sehen bekommt. Das fehlen einer Haupthandlung macht sich dabei zusätzlich negativ bemerkbar. Black Mass wirkt teilweise fast schon dokumentarisch. Leider stehen sich damit Inszenierung und Geschichte gegenseitig im Wege. Wenn im letzten Teil des Films die Jagd auf James Bulger eröffnet ist, wird die Story ziemlich überhastet abgeschlossen. Das Timing des Films ist im Ganzen nicht wirklich stimmig. Trotz allem kämpft sich Black Mass erfreulich nachvollziehbar durch ein gutes Dutzend relevanter Charaktere und weiß zu unterhalten. Zu den Genregrößen eines Coppola oder Scorsese fehlt dann aber doch einiges an Größe und Vision. Somit bleibt Black Mass ein toll gespielter, jedoch nur leicht überdurchschnittlicher Mafiastreifen mit tollem Look.

7/10

Für Fans von: The Departed, Das Leben nach dem Tod in Denver, American Hustle

Freitag, 23. Oktober 2015

Das perfekte Chaos




A perfect day

Es ist ein klassisches Stilmittel des Films, Krieg und Katastrophen mit Humor entgegenzustehen. Zwei der herausragendsten Komödien, die je gedreht wurden (Der große Diktator, Dr. Seltsam, oder wie ich lernte die Bombe zu lieben) erreichen trotz offensichtlichen Klamauks eine enorme emotionale Fallhöhe durch ihre Verwurzelung in der grausamen Realität ihrer Zeit. Der Spanier Fernando León de Aranoa schickt sich nun an, den Horror des Balkankrieges Mitte der neunziger Jahre ironisch zu brechen. In A perfect day folgen wir einigen Mitgliedern einer Hilfsorganisation, die den vergifteten Brunnen eines vom Krieg gebeutelten Dorfes reinigen wollen. Diese edlen Absichten werden durch die Ablehnung der Einheimischen, starrsinnige Bürokraten und das allgegenwärtige Leid durchkreuzt. Das große Plus des Films ist definitiv seine Besetzung. De Aranoa castete weltweit bekannte Namen für sein internationales Team von Helfern. Der Mexikaner Benicio del Toro, der Amerikaner Tim Robbins, die Französin Mélanie Thierry, sowie die Ukrainerin Olga Kurylenko bilden ein beeindruckendes Schauspielensemble für den englischsprachigen Erstling des Regisseurs. Während die humoristischen Szenen bestens funktionieren, fehlt A perfect day der mitreißende Aspekt, der das zugrunde liegende Elend der zerstörten Balkanregion greifbar macht. Die einzelnen Teile des Films greifen so nicht ergänzend ineinander, wozu das sehr holprige Tempo des Streifen zusätzlich beiträgt. Äußerst angetan war ich hingegen von der Kameraarbeit des mehrfach ausgezeichneten Spaniers Alex Catalan, der mit seinen majestätischen Bildern der beeindruckenden Gebirgswelt des ehemaligen Jugoslawiens die Zerrissenheit der Region zusätzlich unterstreicht, und dem herrlich abgestimmten Soundtrack des Films. Die objektiven Schwächen der erzählten Story, sowie die etwas eindimensionale Charakterisierung der Figuren würden A perfect day sicherlich ins graue Mittelmaß des Kinojahrs schicken. Jedoch ist De Aranoa hier ein wirklich lustiger Streifen mit großartigem Cast gelungen, dem ich eine gute Bewertung nicht vorenthalten möchte.

7/10

Für Fans von: Three Kings, M*A*S*H



Der Mann auf dem Seil



The Walk

Am Morgen des 7. August 1974 balancierte der französische Hochseilartist Philippe Petit zwischen den Türmen des World Trade Centers hin und her. Der Coup auf den Dächern der damals höchsten Gebäude der Welt zog ein gewaltiges mediales Aufsehen nach sich. 35 Jahre später erhielt Dokumentarfilmer James Marsh mit seiner filmischen Adaption des Stoffes sogar einen Oscar für Man on wire. Kultregisseur Robert Zemeckis wählt in seinem nun erscheinenden Spielfilm The Walk einen gänzlich anderen Ansatz der Erzählung und schenkt uns dennoch zwei Stunden pure Kinomagie. Im Gegensatz zur journalistischen Aufarbeitung der Geschehnisse in Man on wire, etabliert Zemeckis hier eine Larger-than- Life-Story aus der Sicht des Protagonisten. Joseph Gordon-Levitts Philippe Petit selbst darf dann passend dazu auch den gesamten Film auf der Spitze der Freiheitsstatue stehend als allwissender Erzähler begleiten. Für den Erschaffer moderner Klassiker wie Zurück in die Zukunft oder Forrest Gump bietet sich diese Herangehensweise natürlich an. Und so schafft es Zemeckis auch in The Walk mit technischer Brillianz und märchenhaft-leichter Erzählstruktur das Publikum über die kompletten 123 Minuten bei Laune zu halten. Besonders ersterer Aspekt wird dem Zuschauer jedoch dauerhaft im Gedächtnis bleiben. Ohne jeden Anflug von Künstlichkeit lässt die Filmcrew nicht nur das World Trade Center in allen seinen Facetten, sondern dazu noch das unnachahmliche New Yorker 70's-Feeling auferstehen. Schon in seinem vorangegangenen Film konnte Zemeckis von seiner jahrelangen Pionierarbeit im Bereich des IMAX-3D-Verfahrens (Der Polarexpress, Disneys Eine Weihnachtsgeschichte) profitieren, doch die schwindelerregenden Aufnahmen von The Walk stellen selbst den beklemmenden Flugzeugabsturz aus Flight in den Schatten. Für Akrophobiker kann The Walk dann auch dementsprechend zu einer echten Herausforderung werden. Seine umwerfend schön eingefangenen Bilder dürften aber zweifellos jeden beeindrucken. Das Passing und die Entwicklung der Geschichte in The Walk sind hingegen noch ausbaufähig. Trotz einer verhältnismäßig opulenten Spieldauer schafft es der Film nicht seine Nebendarsteller (u.a. 24-Star James Badge Dale) adäquat ins Bild zu rücken. Lediglich Altmeister Ben Kingsley hinterlässt als Zirkusdirektor und Petits Lehrer Papa Rudy einen bleibenden Eindruck. Dazu hält sich der Streifen zulange mit der Biografie Petits auf. Die erste Stunde des Films (optisch großartig im Stil von Die fabelhafte Welt der Amelie gedreht) hat zwar zweifellos ihre Reize, streckt die Zeit bis zum atemlosen Finale von The Walk jedoch künstlich. Nichtsdestotrotz können die nahezu perfekten, letzten 45 Minuten des Films für all dies entschädigen. The Walk ist eine bildgewaltige und hochspannende Mischung aus Schelmenstück und Heistmovie und zugleich eine Hommage an New York City mit herrlich nostalgischem Swing-Soundtrack.

 8/10

Für Fans von: Man on wire, Die fabelhafte Welt der Amelie, Ocean's Eleven

Freitag, 16. Oktober 2015

Kiffende Killermaschinen


American Ultra

In den 1950er Jahren begannen amerikanische Geheimdienste die Arbeit am sogenannten MK-Ultra Programm. Dies diente unter anderem dazu, Soldaten hinsichtlich Vorhersage, Steuerung und Kontrolle des menschlichen Handelns zu steuern. Um solch abwegige Ziele zu erreichen (vordergründig gab die USA-Regierung erweiterte Verhörmethoden gegen feindliche Spione zu Zeiten des Kalten Krieges als eigentliches Ziel des Programms aus), wurden in hohem Maße halluzinogene Drogen an Gefängnisinsassen verabreicht, von denen einige an diesen Experimenten starben. Auf medizinischer Seite griff die CIA derzeit zusätzlich auf die Hilfe der deutschen KZ-Ärzte Kurt Blome und Walter Paul Schreiber zurück. Einigen wird dieser kurze geschichtliche Abriss zweifellos bekannt vorkommen. Denn die Geschehnisse rund um das MK-Ultra Programm wurden filmisch bereits in Werken wie den Manchurian Kandidat-Streifen, Fletchers Visionen und Shutter Island verarbeitet. Nun versucht der iranisch-britische Musikclipregisseur Nima Nouziradeh (Project X) der heiklen Hintergrundgeschichte eine schwarzhumorige Entsprechung in der heutigen Zeit zu geben. In American Ultra folgen wir Kiffer Mike, der seiner Freundin eigentlich nur einen Heiratsantrag machen will, sich schlagartig aber zwischen den Fronten der Geheimdienste wiederfindet. Mit Jesse Eisenberg und Kirsten Stewart hat Nouziradeh natürlich eine Idealbesetzung für das Stonerpärchen gefunden. Der romantische Aspekt des Films ist dann auch derjenige, der American Ultra am besten zu Gesicht steht. Denn im Gesamten ist der Streifen äußerst wirr. Die nach 10 Minuten komplett vorauszuahnende Geschichte schafft es in keinster Weise den Zuschauer über die Laufzeit von 96 Minuten zu unterhalten. Alle Figuren sind nach Schema F angelegt wurden, Überraschungen bleiben völlig aus, dazu wiederholen sich Szenenabläufe ständig. American Ultra versucht sich als Mischung aus Stonerfilm, Jason Bourne-Parodie und Splatter-Action zu profilieren. Die einzelnen Teile greifen jedoch nicht ineinander. Zusätzlich lässt Nouziradeh den kompletten Film bei Nacht spielen, was äußerst ermüdend wirkt. Zugegeben kann American Ultra mit einigen durchgeknallten Ideen und zündenden Gags punkten, auch die Gastauftritte von Bill Pullman und John Leguizamo wissen zu gefallen. Schlussendlich kann der Streifen trotz seiner Prämisse Hirn-aus-Spaß-an nicht verbergen, dass hier zu krampfhaft versucht wurde, einen Kultfilm zu schaffen. 

4/10

Für Fans von: Hot Fuzz, Ananas Express

Sonntag, 11. Oktober 2015

Er schafft es nochmal



Der Marsianer

Die letzten vier Filme des Altmeisters Ridley Scott konnten bei Kritik und Publikum bestenfalls mittelmäßig punkten. Robin Hood, Prometheus, The Counselor und Exodus ließen vieles fehlen, das Meisterwerke des Regisseurs, wie Alien, Blade Runner oder Gladiator ausmachte. Mit nunmehr 77 Jahren lag der Gedanke nicht fern, Scotts Planungen (unter anderem noch mehrere Alien-Sequels zu verwirklichen) könnten ihm über den Kopf gewachsen sein. Dazu verlagerte er die Story seines aktuellen Werkes auf den Mars. Der rote Planet ist seit jeher Kassengift. Disney hatte sich vor drei Jahren mit John Carter erst an dieser Thematik verhoben. Doch aller Unkenrufe zum Trotz ist Der Marsianer ein brillianter Film geworden. Mit Gravity und Interstellar standen schon in den vergangenen beiden Jahren zwei Science-Fiction-Epen im Mittelpunkt der filmischen Aufmerksamkeit. Und so liegt der Schluss nahe, dass Der Marsianer auf dem Erfolg dieser Filme aufbaut. Doch Scott vermeidet die Unzulänglichkeiten beider Streifen (die melodramatische Kopflastigkeit von Interstellar sowie die Zentrierung auf technische Aspekte in Gravity) und schuf stattdessen einen lupenreinen Abenteuerfilm für ein breites Publikum. Als titelgebender Gestrandeter darf Matt Damon mit überraschender Tiefgründigkeit überzeugen. Sein Mark Watney ist durch sein mutiges Handeln und seinen schwarzen Humor die ultimative Identifikationsfigur. Damon begeistert jedoch auch in den leiseren und traurigeren Szenen. Generell kann man den Eindruck gewinnen, der Film könnte seinem enormen Cast nicht gerecht werden. Doch Scott schafft es jeder Figur den nötigen Spielraum zu geben, ohne Der Marsianer unnötig in die Länge zu ziehen. So können wir uns am who-is-who der vergangenen Jahre mit Jessica Chastain, Kate Mara, Chiwetel Ejiofor, Michael Pena und Kirsten Wiig erfreuen, die von den alten Hasen Sean Bean und Jeff Daniels unterstützt werden. Besonders auffallend ist weiterhin die enorme Detailfreude, mit der Der Marsianer daherkommt. Die Set Designer leisteten begeisterungswürdige Arbeit und schufen gemeinsam mit den monumentalen, aber niemals übertrieben künstlichen Bildern von Fluch der Karibik-Kameramann Darius Wolski eine beeindruckende Grundstimmung, die einen Flug zum Mars absolut authentisch im Jahr 2015 verankert. Somit kann jeder Zuschauer während der gesamten 144 Minuten Laufzeit stets Neues entdecken. Der Marsianer ist ein wahrlich witziges und zugleich hochspannendes Weltraumabenteuer, das nie versucht philosophische Exkurse in seinen Handlungsverlauf einzubetten, sondern sich wohltuend auf seine Robinson Crusoe im All-Geschichte konzentriert. Heraus kam ein meisterlich gespielter und gestalteter Film, dem ich nur durch seinen sehr konventionellen Handlungsablauf die Bestnote verweigere.

9/10

Für Fans von: Apollo 13, Gravity, Wall-E

Donnerstag, 8. Oktober 2015

Erfolg lag ihm im Blut



The Program – Um jeden Preis

Seit vielen Jahren versuchen Organisatoren und Teilnehmer des legendärsten Straßenradrennens der Welt die Tour de France wieder als ernstzunehmenden sportlichen Wettkampf für die öffentliche Wahrnehmung zurückzugewinnen. An vorderster Front waren es die Enthüllungen um den siebenfachen Toursieger Lance Armstrong und dessen Team, die professionellen Radsport in der medialen Berichterstattung zur Randnotiz werden ließen und diesen nur in Zusammenhang mit Dopingenthüllungen betrachteten. Man ist gewillt, sich diesem Eindruck nach Sichtung von Stephen Frears The Program anzuschließen. Basierend auf dem Enthüllungsbuch 'Seven Deadly Sins: My Pursuit of Lance Armstrong' von David Walsh erschuf der Philomena- und The Queen-Regisseur ein hoch spannendes und brilliant gespieltes, aber etwas uneinheitliches und wirres Drama. Mit enormem Aufwand und greifbaren Ambitionen zeichnen die Filmemacher ein Portrait des amerikanischen Radsportprofis von 1993 bis 2013. Seine Wandlungen und Motivationen bilden das Zentrum der Geschichte. Glücklicherweise konnte Frears mit Ben Foster einen ausgezeichneten Charaktermimen als Hauptdarsteller gewinnen, der diesen undurchsichtigen Sportler in allen Facetten großartig verkörpert. Der zweite herausragende Schauspieler des Streifens ist zweifellos Breaking Bad-Star Jesse Plemons als Armstrongs Rivale Floyd Landis. Besonders in der zweiten Hälfte des Films sorgt das intensiv gespielte Duell dieser ehemaligen Verbündeten für eine packende Intensität auf der Leinwand. Dazu ist Regisseur Frears fast schon krampfhaft um Kreativität bemüht. Ein großes Aufgebot an Charakteren, viele Rückblenden, dazu Gegenschnitte und Montagesequenzen bilden den großen Anspruch der Verantwortlichen heraus, sorgen aber auch für einen uneinheitlichen Inszenierungsstil, der makabererweise bestens zur chaotischen Dramaturgie des Films passt. Das zentrale Problem von The Program ist seine Unentschlossenheit. Dem Zuschauer werden stetig Richtungswechsel geboten, die den Streifen zwischen Spielfilm und Dokumentation wechseln lassen. Dies schadet Tempo und Fluss natürlich immens. Das zweite große Manko geht dann auch damit einher. Denn zu Beginn von The Program wird Journalist David Walsh als Hauptfigur eingeführt. Seine Arbeit zur Offenlegung der Dopingpraxis im Radsport soll Fundament der Geschichte sein. Doch wie auch der Stil des Films wird David Walsh über weite Strecken der 104 Minuten Laufzeit ignoriert. Somit verlieren sich Stephen Frears und The Program irgendwo zwischen Enthüllungsthriller, Sportdrama und Bio-Pic. Dieser Fakt wiegt umso schwerer, da der Film die Systematik des Betrugs am Radsport glänzend recherchiert offenlegt und den Zuschauer zur weiteren Beschäftigung mit der Thematik anregt. 

6/10

Für Fans von: Die Unbestechlichen, The Armstrong Lie


Hitler geht immer



Er ist wieder da

Über 2 Millionen verkaufte Bücher sowie Übersetzungen in 41 Sprachen machten aus Timur Vermes Debütroman eines der erfolgreichsten deutschen Prosawerke des neuen Millenniums. Die nun erscheinende Verfilmung von Er ist wieder da erzählt wie seine literarische Vorlage von den Erlebnissen des realen Adolf Hitlers, der im heutigen Berlin auf unerklärlicher Weise erwacht. Vermes schuf damit ein Musterbeispiel für politische und mediale Satire. Schließlich schickt sich Hitler an, mithilfe des Fernsehens erneut die Macht über Deutschland an sich zu reißen. Regisseur David Wnendt legt in seiner Adaption den zentralen Aspekt gleichermaßen auf diese beiden Themen. Dabei gelingt ihm, trotz der im Kern schon völlig abstrusen und zugleich bemerkenswerten Geschichte, eine ebenbürtige Medienschelte. Besonders Hitler im Verlauf des Films als Youtube-Star zu profilieren, steht als gutes Beispiel für das Zusammenwirken beider Gesichtspunkte. Hier wird zum einen deutlich, wie sich auch die neuen Medien auf alles stürzen, das nach Sensation riecht, zum anderen sehen wir, wie Hitler durch wirksame Propaganda auch heute noch begeistern kann. An dieser Stelle sei auch der Mut der Filmemacher hervorgehoben, die sich nicht zu Gunsten einer klassischen Komödie davon abhalten ließen, politisch Position zu beziehen und dem deutschen Volk einen Spiegel vorzuhalten. Von vorn herein macht Er ist wieder da völlig klar, dass der Nährboden für einen weitere Diktatur in der heutigen Zeit problemlos zu finden ist. Doch nicht nur thematisch bleibt der Streifen über seine Laufzeit von 116 Minuten spannend. Mit einem abwechslungsreichen Mix aus Satire und Mockumentary kann Er ist wieder da auch filmisch überzeugen. Dazu sind die auf den ersten Blick uninteressantesten Figuren, Senderchefin Bellini, sowie Produzent Sensenbrink mit Katja Riemann und Christoph Maria Herbst bestens besetzt. Zwei Schauspieler, die ihre gespielten Charaktere stets durch die eigene mediale Omnipräsenz überlagern, als wandelnde Klischees zu casten, hat mir äußerst gut gefallen. Dazu geht der Film noch einen Schritt tiefer in die ohnehin schon stark gestaltete Vermischung aus Realität und Fiktion (von teilweise gezeigten Reaktionen auf Hitlers Wiedererwachen lässt sich nicht sagen, ob diese gestellt oder real sind) als dessen Vorlage, da der Führer wiederum eine Verfilmung eines eigens geschriebenen Buch über seine Erlebnisse 69 Jahre nach seinem eigentlichen Tod in Auftrag gibt. Auch wenn Er ist wieder da im dritten Viertel dramaturgisch schwächelt und sich doch etwas zu lang geraten anfühlt, gelang David Wnendt eine topaktuelle Umsetzung eines brisanten und entlarvenden Stoffes, die ganz nebenbei noch einen grimmig-passenden Kommentar zum Thema Umwelt- und Tierschutz parat hat.

8/10

Für Fans von: Schtonk!, Mein Führer, Heil

Mittwoch, 7. Oktober 2015

Sehen und Hören



The Look of Silence

Eines der grausamsten Kapitel der Nachkriegsgeschichte trug sich 1965/66 in Indonesien zu. Der junge Staat wurde von einem Militärputsch erschüttert, die nun herrschenden Generäle sahen es als ihre Aufgabe den Kommunismus auf dem Inselstaat auszurotten. Bei den Massakern wurden etwa 1 Million vermeintliche Unterstützer und Sympathisanten der Kommunistischen Partei Indonesiens hingerichtet. Die Verantwortlichen leiteten die Staatsgeschäfte bis 1998. Noch heute sind hochrangige Mitglieder der paramilitärisch organisierten Todesschwadronen im gesellschaftlichen Leben Indonesiens anerkannt. Der amerikanische Regisseur Joshua Oppenheimer schuf mit seiner gefeierten und eindrücklichen Dokumentation The Act of Killing ein Meisterwerk, das die Massenmorde jener Zeit in die Weltöffentlichkeit brachte. Nicht zuletzt hatten auch die USA bis dato wenig Interesse die Ereignisse tiefgründig zu betrachten, da die damalige Regierung unter Lyndon B. Johnson die indonesischen Putschisten als Vorkämpfer gegen den Weltkommunismus unterstützten. Mit The Look of Silence bringt Oppenheimer nun das Schwesterwerk zu The Act of Killing in die Kinos. Anders als im oscarnominierten Werk von 2012, das die Mörder und deren Beziehung zu ihren Taten in den Vordergrund stellte, beschäftigt sich der Wahldäne in The Look of Silence mit den Opfern des Genozids, genauer thematisiert er die Suche eines Mannes nach den Verantwortlichen des Todes seines Bruders 1965. Oppenheimer selbst tritt nicht vor der Kamera auf, sondern überlässt seinem großartigen Protagonisten, dem Optiker Adi, das Feld. Dieser verwickelt Kunden, Lokalpolitiker und sogar Verwandte in Gespräche über ihre Beteiligungen an den Massakern. Das titelgebende Schweigen wird dabei zu seiner größten Stärke. Für das internationale Publikum mag dieses Schweigen entlarvend sein, Adi bewegt es zutiefst, die Verantwortlichen der Tötungen präsentieren sich aber ähnlich stolz gegenüber ihren Taten, wie andere bereits in The Act of Killing. Im direkten Vergleich allerdings schneidet The Look of Silence etwas schlechter ab. Oppenheimer fokussiert sich hier intensiver auf Einzelschicksale, was sich auch in seinem Stil niederschlägt. Dem phänomenalen Dokumentationsepos The Act of Killing kann der mit 103 Minuten fast eine Stunde kürzere The Look of Silence nicht das Wasser reichen. Dafür ist der Streifen dann zu minimalistisch gehalten. Der begonnene Zyklus aus beiden Filmen wird hingegen bestens vervollständigt. Unter großem Widerstand (man beachte den Abspann des Films, in dem zahllose Mitwirkende als Anonym genannt werden) arbeitete die Filmcrew an einem bewegenden Streifen über Geschichtsverdrängung, pervertiertes Politikverständnis und die Macht der Vergebung. Diesem Unterfangen sollten Zuschauer auf der ganzen Welt Tribut zollen.

8/10

Für Fans von: The Act of Killing, Taxi Teheran

Dienstag, 6. Oktober 2015

Taschentuch und Aktenkoffer


Man lernt nie aus

In den letzten Jahren konnte man den Eindruck gewinnen, Robert DeNiro reiche es aus, als Relikt des New Hollywood-Kinos der 70er und 80er Jahre in durchschnittlichen Ensemblefilmen den Geist der guten alten Zeit zu versprühen. Schauspielerische Totalausfälle sind vom Großmeister natürlich nicht zu erwarten, doch seine Rollen etwa in Zwei vom alten Schlag, Last Vegas oder American Hustle hatten doch hauptsächlich einen nostalgischen Unterhaltungswert. Umso schöner ist es, dass es gerade der seichten Liebeskomödienspezialistin Nancy Meyers gelang, DeNiro wieder komplett hinter einer Figur versteckt zu lassen. Denn sein Handwerk hat der zweifache Oscarpreisträger gewiss nicht verlernt. Komplett ironiefrei und mit dem Herz am richtigen Fleck erzählt Man lernt nie aus die Geschichte des 70jährigen Witwers Ben Whitaker, der die Leere in seinem Leben mit einem Praktikum in der Start-Up-Szene New Yorks zu füllen beginnt. Auf die obligatorischen Szenen, in denen Rentner als hilfsbedürftige, ewiggestrige Technikverweigerer charakterisiert werden, verzichtet Meyers glücklicherweise und erzählt, zumindest in der ersten Hälfte des Films, wie Generationen voneinander profitieren können. Das zentrale Element des Films bildet dabei die Freundschaft Bens zu seiner Chefin und Firmengründerin Jules Ostin, die hier von der bezaubernden Anne Hathaway vielschichtig porträtiert wird. Leider schwächelt Man lernt nie aus im dritten Akt. Zunehmend macht sich dann die stattliche Laufzeit von 121 Minuten sowie die Fixierung auf das Privatleben von Jules bemerkbar. Das bis dato schöne Tempo des Films wird ausgebremst und interessante Nebencharaktere, etwa die von Rene Russo verkörperte Firmenmasseurin, sowie einige andere bereits etablierte Kollegen Bens, die dazu noch von spannenden Newcomern, wie Pitch Perfect-Star Adam DeVine oder Margos Spuren-Hauptdarsteller Nat Wolff gespielt werden, verschwinden von der Bildfläche. Glücklicherweise gleitet Meyers der Film nie aus der Hand, die kleinen und großen Geschichten des Streifens werden schlüssig zu Ende erzählt. Und auch wenn Man lernt nie aus ein kleines bisschen kitschig, ein kleines bisschen konstruiert und ein kleines bisschen eskapistisch ist, macht dieses Feel-Good-Movie dank der positiven Grundaussage und einem tollen Robert DeNiro große Freude.

7/10

Für Fans von: Forrester – Gefunden, Das erstaunliche Leben des Walter Mitty

Die Brut des Teufels



Regression

In den späten achtziger und frühen neunziger Jahren machten in den Vereinigten Staaten regelmäßig Berichte über okkulte, antichristliche Gruppen die Runde, die angeblich auf satanischen Messen unvorstellbare Grausamkeiten begangen. Bis heute konnte in diesen Anschuldigungen nie ein wahrer Kern gefunden werden, Verdächtigungen und Paranoia vor nicht Greifbaren sind als Filmvorlage jedoch allemal zu gebrauchen. Und so darf sich Alejandro Amenabar für Regression mit dem beliebten Siegel 'Beruhend auf wahren Begebenheiten' schmücken. Der Mysterythriller schildert den Fall einer Jugendlichen, die ihren Vater des sexuellen Missbrauchs durch diesen und einen Kult bezichtigt. In den folgenden 107 Minuten zieht Amenabar (The Others, Vanilla Sky) alle Register eines mysteriösen Krimis mit paranormalem Touch. Das Augenmerk liegt demzufolge auch klar auf dem Aufbau von Spannung. Durch eine präzise Kameraarbeit und einen eiskalten, grauen Look (in der Kleinstadt, in der Regression angesiedelt ist, regnet es selbstredend ununterbrochen) erschafft der Film eine Athmosphäre der allgemeinen Verdächtigung. Leider steht sich der Streifen durch sein arg vorhersehbares Drehbuch damit selbst im Weg. Fans ähnlich angelegter Psychothriller werden den Verlauf der Geschichte oftmals vorausahnen können. Was Regression im Gegensatz zum Überraschungspotenzial hingegen wirklich voran bringt, ist die Leistung des Schauspielensembles. Hauptdarsteller Ethan Hawke mimt seinen leitenden Detective als eigentlich standhaften und rationalen Polizisten, der durch die Ermittlungen an seinen ureigensten Überzeugungen zu zweifeln beginnt. Der Brite David Thewlis (Die Entdeckung der Unendlichkeit, The Big Lebowski) als unterstützender Psychologe (die titelgebende Regressionstherapie ist in dessen Wissenschaft verankert) und Schwedens Hollywoodexport David Dencik als Hauptverdächtiger runden eine mehr als solide Besetzung ab. Hervorgehoben sei an dieser Stelle noch die Leistung von Harry Potter-Star Emma Watson, die den definitiv schwierigsten Job des Casts hat. Als desillusioniertes Vergewaltigungsopfer ruft sie eine beeindruckende Leistung ab und beweist einmal mehr, dass sie die talentierteste Nachwuchsschauspielerin aus den Reihen der Zauberer-Saga ist. Für Fans zwielichtiger Geschichten ist Regression somit als solide gefilmter und toll gespielter, inhaltlich aber lediglich durchschnittlicher Okkultismuskrimi durchaus empfehlenswert.

6/10

Für Fans von: The Others, Martha Marcy May Marlene, Enemy

Samstag, 3. Oktober 2015

Drei Ikonen



Life

Bis zum heutigen Tage ist sie eine der meist reproduzierten Fotografien unserer Zeit. James Dean an einem regnerischen Tag am New Yorker Time Square, den Mantel tief ins Gesicht gezogen, die Zigarette lässig im Mundwinkel. Dieses Bild stand und steht für den fast schon übernatürlichen Mythos des jung verstorbenen Deans und begründete ganz nebenbei die Weltkarriere des Mannes hinter der Kamera: Dennis Stock. Diesen beiden grundverschiedenen Charakteren widmet Anton Corbijn nun das Bio-Pic Life. Eine bessere Wahl für den Regie-Posten hätte es auch kaum geben können. Der Niederländer Corbijn gehört seinerseits wiederum zu den größten lebenden Fotografen. Seine Porträts der Rock- und Popszene aus den neunziger Jahren sind heute selbst moderne Ikonografien. Corbijn schuf dazu legendäre Albumcover (etwa von Depeche Mode, U2, Metallica und Herbert Grönemeyer) und darf sich dazu als Musikvideoregisseur MTV-Award-Gewinner nennen (1994 für Nirvanas Heart Shaped Box). Dies alles gelang ihm noch vor seiner Karriere als Kinoregisseur, die mit The American und A most wanted man, zwei von mir hochgeschätzte Werke enthält. So ist es nicht verwunderlich, und damit sei an dieser Stelle auch eine der beiden herausragenden Stärken des Films genannt, das Life phänomenal aussieht. Passenderweise orientiert sich Corbijn noch stärker als in seinen vorangegangenen Werken an seiner Vergangenheit als Fotograf und verpasst Life eine beeindruckende Bildsprache. Zusammen mit einer extrem detaillierten Kostüm- und Set Designer-Arbeit werden die 1950er Jahre für 111 Minuten lebendig. Zu diesem Effekt trägt auch die Einbindung zeitgenössischer Personen wie Kultregisseur Elia Kazan und Produzentenlegende und Warner Bros.-Gründer Jack L. Warner (herrlich fies gespielt von Ben Kingsley) bei. Womit wir bei der zweiten Stärke von Life angekommen wären: Die Hauptdarsteller. In der erzählten Geschichte beeinflussen sich Dennis Stock und James Dean gegenseitig zum Aufstieg in den Olymp ihrer jeweiligen Profession. Mit Dane DeHaan und Robert Pattinson werden beide von Schauspielern verkörpert, die an eben jener Schwelle stehen. Natürlich hatte Pattinson mit seiner Hauptrolle in der Twilight-Saga bereits eine globale Berühmtheit erlangt, jedoch ist es offensichtlich, dass der Brite nach dieser Rolle einen kompletten Neustart in Hollywood vornahm, weshalb sein Engagement nicht geringer einzuschätzen ist. Und dennoch ist es DeHaan, der als James Dean eben dessen Mimik und Gestik, seine unverständliche Sprache (dringendst sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, Life in einer Originalfassung zu sehen) und sein gesamtes unerklärliches Wesen bestmöglich verkörpert. Deans Charakterisierung fällt dementsprechend bemüht aus, kann den anhaltenden Hype um ihn jedoch auch nicht gänzlich durchdringen. Jeder, der an dieser Stelle einen ergreifenden Film über eine ungewöhnliche Freundschaft erwartet, sei an dieser Stelle vorsorglich gewarnt. Life ist kein Mainstream-Werk. Corbijn verweigert sich einer herkömmlichen Dramaturgie. Die Handlungen seiner Figuren sind oft zufällig, und verlaufen nicht selten im Sande. Life hat spürbare Längen, versucht aber erst gar nicht, diese durch reißerische Elemente auszugleichen. Vielmehr kommt der Film dem Porträtierten James Dean nahe: Seltsam leer und abwesend, aber dennoch faszinierend. 

6/10

Für Fans von: Kill your Darlings, Saving Mr. Banks

Freitag, 2. Oktober 2015

Im Dunkeln stochern



Sicario

Vor zwei Jahren kürte ich den englischsprachigen Debütfilm des Franko-Kanadiers Denis Villeneuves, Prisoners, zum besten Streifen 2013. Mit enormer Spannung erwartete ich also das Nachfolgewerk des Regietalents. In Sicario (Spanisch für Auftragskiller) schildert uns Villeneuve den aussichtslosen Kampf amerikanischer Geheimdienste gegen mexikanischen Drogenkartelle am Grenz-Hotspot El Paso/Ciudad Juarez. Die Brillianz von Prisoners kann in Sicario leider nicht ganz wiederholt werden, der Film zieht einen jeden Zuschauer allerdings von Minute 1 bis 121 in seinen Bann. An zwei Dingen ist dies festzumachen. Zum ersten profitiert Sicario von seiner großartigen Hauptfigur. In einer perspektivlosen Umgebung voller Verantwortlicher, die nur zwischen verschiedenen Abstufungen von falsch entscheiden können, ist es als Kinobesucher eine enorme Wohltat mit Emily Blunts SWAT- Agentin Kate Macer einer positiv charakterisierten Identifikationsfigur folgen zu können. Blunts Leistung ist dazu auch mehr als nur bemerkenswert. Der zweite Grund, der Sicarios unheimliche Sogwirkung begründet, ist dessen audiovisuelle Wucht. Der vielleicht beste, lebende Kameramann und Hollywoods Nummer 1 der aufstrebenden Filmkomponisten setzen diesbezüglich neue Maßstäbe. Roger Deakins Bilder sind schlichtweg atembe raubend. In Prisoners und Skyfall ließ sich schon sehen, was der Brite besonders im Hinblick auf das Spiel mit Lichteinflüssen auf Zelluloid bannen kann, die Nachtaufnahmen in Sicario nun gehören für mich zum Aufregendsten, was ich seit langem sehen durfte. Der eindringliche und hinterlistig-bedrohliche Score des Isländers Johann Johannsson (im diesem Jahr oscarnominiert für Die Entdeckung der Unendlichkeit) sorgt dazu für permanentes Nägelkauen. Zwiegespalten hingegen fällt meine Bewertung des Drehbuchs aus. Hier widersetzt sich Villeneuve dem gängigen Thriller-Muster und präsentiert Sicario als Folge persönlicher und politischer Dilemmata. Dies spiegelt den oftmals orientierungslosen Kampf der Behörden gegen die allmächtig erscheinenden Kartelle zwar bestens wieder, sorgt aber auch dafür, dass Sicario im Mittelteil etwas die Puste ausgeht. Der Film wirkt dann teilweise fragmentarisch. Was hingegen wirklich negativ auffällt, ist die schwache Figurenzeichnung des Einsatzleiters Matt Graver. Gegen dieses wandelnde Klischee kann selbst Leinwandikone Josh Brolin nur schwerlich anspielen. Für dramaturgisch gelungene Momente sorgt wiederum der „Berater“ Alejandro. Benicio del Toro ist hier in einer maßgeschneiderten Rolle zu sehen, die die Aufmerksamkeit des Zuschauers bis zum beklemmenden Finale fordert. Letztlich verdient sich Sicario durch seine tolle Hauptdarstellerin und seine Ambivalenz aus betörend schönen Bildern und seiner realistisch-niederschmetternden Grundaussage seinen vorderen Platz im Oeuvre eines der spannendsten Regisseur der Gegenwart.

8/10

Für Fans von: Traffic – Macht des Kartells, Zero Dark Thirty

Donnerstag, 1. Oktober 2015

Genauer hinschauen







Alles steht Kopf

Im Pixar-Streifen Oben aus 2009 gestaltete Regisseur Pete Doctor die junge Ellie nach dem Vorbild seiner eigenen, gleichnamigen Tochter. Im vorliegenden Film spielte Ellie Doctor nunmehr eine wesentlich entscheidendere Rolle. Basierend auf den Anstrengungen ihres erziehenden Vaters ergründet Alles steht Kopf das Innenleben einer Elfjährigen und erschafft einen der besten, in jedem Fall aber den phantasievollsten Spielfilm des legendären Animationsstudios. Der Grundkonflikt von Alles steht Kopf basiert dann auch auf einer für Familien typischen Veränderung. Riley Andersen zieht es mit ihren Eltern vom ländlichen Minnesota in das Millionenmoloch San Francisco. Der damit einhergehende Verlust von Heimat, Freunden und Hobbys stellt die Heranwachsende vor große Probleme. Und so folgen wir in Alles steht Kopf den fünf Emotionen Freude, Kummer, Wut, Ekel und Angst, die versuchen Rileys neues Leben in geordnete Bahnen zu bringen. Freude mimt dabei die Erzählerin des Films und lässt uns als dauergrinsende Energiebombe in das visuelle Meisterstück eintauchen. Nach einer kurzen Exposition, die dem Zuschauer gerade genug erklärt, damit dieser nicht den Anschluss verliert, nimmt uns Alles steht Kopf direkt mit auf ein bildgewaltiges Abenteuer durch das gigantische Universum namens menschliches Empfinden. Die Komplexität der Emotionen findet dabei in der Story seine greifbare Entsprechung. Die Welt in Rileys Verstand ist schier gigantisch. Besonders auffällig ist dabei die optische Umsetzung der einzelnen Aspekte unserer Gefühlswelten. Nach eigener Aussage wurden Regisseur Pete Doctor und sein Team maßgeblich durch den Besuch der Jelly-Belly-Fabrik inspiriert. Der Film macht dazu auch deutlich, sich nicht mit dem menschlichen Gehirn beschäftigen zu wollen. Eine Reise durch Blutgefäße oder Synapsen wird man daher vergeblich suchen. Stattdessen warf Pixar sein gesamtes animatorisches Talent in die Erschaffung von Themenparks, Filmstudios oder Spielzeugeisenbahnen, die einzelne Abschnitte von Rileys Gefühlswelt darstellen. Das absolute Highlight ist diesbezüglich die bildliche Umsetzung des Abstrakten Denkens, die ich an dieser Stelle jedoch nicht verraten möchte. Was seit jeher die Pixar-Filme auszeichnete, ist ihre universelle Konsumierbarkeit. In ähnlichem, tiefgründigen Maße, wie im uneingeschränkten Meisterwerk Wall-E werden in Alles steht Kopf Erwachsene angesprochen. Der wissenschaftliche Background, auf den die Filmemacher hier zurückgreifen, ist stets spürbar. Auf eine Schwachstelle sei in diesem Zusammenhang hingewiesen. Im dritten Viertel des Films verlässt Alles steht Kopf die eingefahrenen Bahnen etwas zu sehr und reiht schräge Ideen und Abenteuerfilmsequenzen aneinander. Dabei geraten die humorvollsten und spannendsten Sequenzen, die das Zusammenwirken der Emotionen und der Aktionen des handelnden Menschen behandeln, ins Hintertreffen, dazu hätte dem Film hier manche Straffung gut getan. Großartig gelungen hingegen ist einmal mehr der Score des Pixar- Hauskomponisten Michael Giacchino. Seine sphärische Filmmusik, eingespielt mit großem Orchester und zahllosen Klangwerkzeugen, spiegelt die Schwerelosigkeit und grenzenlose Tiefe von Emotionen wieder. Bemerkenswert ist auch, dass die Komposition zu Alles steht Kopf nach A world beyond, Jupiter Ascending und Jurrasic World Giacchinos vierte, epische Filmmusik binnen eines Jahres ist. Eingefleischte Pixar-Fans können sich natürlich wieder auf einen liebevollen Vorfilm freuen. Dazu ist die deutsche Synchronarbeit an Alles steht Kopf sehr sauber gelungen. An dieser wirkten unter anderem Stars wie Kai Wiesinger, Bettina Zimmermann, Olaf Schubert, Hans-Joachim Heist (der dem typischen Sidekick Wut, ein tobendes und schnaufendes, rotes Viereck, seine Stimme gibt), Dietmar Bär, Klaus J. Behrendt und die Youtuber von Y-Titty mit. Somit steht für alle Altersschichten eines fest: Ansehen! 

9/10

Für Fans von: Oben, Wall-E, Toy Story

Mal richtig unters Volk mischen







A royal night

Die Erleichterung, die das Vereinigte Königreich durchzogen haben muss, lässt sich heute wohl nicht mehr in ihrer erlösenden Kraft nachvollziehen. Am 8. Mai 1945 atmete Großbritannien auf, da der Krieg gegen Hitler-Deutschland endlich vorüber war. Mit einer Anekdote dieses memorablen Tages beschäftigt sich Regisseur Julian Jarrold nun in A royal night. Auch dieser Film beruft sich auf eine wahre Begebenheit. Laut dieser hatten die Töchter des regierenden Monarchen George VI. eine Erlaubnis, den Tag der Befreiung, unter strenger Aufsicht, mit dem gemeinen Volk zu feiern. In der tristen Realität hat sich wohl alles nach den Plänen des Königshauses abgespielt, A royal night nutzt diese ungewöhnliche Ausgangssituation nun aber, um ein romantisches Märchen zweier Schwestern zu erzählen, die dem durchexerzierten Alltag des Buckingham Palastes entkommen wollten. Mit gut aufgelegter Besetzung und einem schwunghaften Swing-Soundtrack von Paul Englishby gelingt es A royal night den Zuschauer 97 Minuten lang auf seine Seite zu ziehen. Von einer seichten Komödie wie dieser erwartet man für gewöhnlich keine offene Systemkritik. In Anbetracht dieser Tatsache kann man es schon fast als mutig bezeichnen, in welchem Maße Prinzessin Elizabeth während des Films mit ihrer zukünftigen Rolle als Königin aller Briten hadert. Generell ist Sarah Gordons Performance als junge Monarchin äußerst bemerkenswert. An ihrer Seite sind im Übrigen Bel Powley (die ab November im Berlinale- Preisträger Diary of a Teenage Girl zu sehen bewundern sein wird) als abenteuerlustige Prinzessin Margaret, sowie die englischen Kultschauspieler Rupert Everet und Emily Watson als Königspaar zu sehen. Bedauerlicherweise kann Transformers-Schauspieler Jack Reynor in der männlichen Hauptrolle nicht überzeugen. Als orientierungsloser Kriegsheimkehrer hätte er die Chance gehabt, seinen Charakter in ein spannendes Gegenlicht zu den höfisch erzogenen Damen zu stellen. Doch wahres Interesse für seine Figur vermag Reynor nicht zu wecken. So wird der Konflikt zwischen bürgerlichen und royalem England vor allem komödiantisch dargestellt. Da dies hauptsächlich in Form von wirklich gut pointierten Dialogen geschieht, sei dringendst darauf hingewiesen, A royal night in der originalen Sprachfassung zu sehen. Aus dem Kontrast von gehobenem und alltäglichem Englisch zieht der Streifen viel Humor. Somit ist A royal night für einen betulichen Filmabend bestens geeignet. 

6/10

Für Fans von: The King's Speech