Donnerstag, 26. November 2015

Die große Suche







Ewige Jugend

Die Erwartungen an Paolo Sorrentinos neuen Film waren nach seinem Oscargewinn für La grande Bellezza - Die große Schönheit naturgemäß hoch. Die ekstatische Liebeserklärung an die Ewige Stadt begeisterte im vergangenen Jahr enorm, umso schöner ist es, dass mit Ewige Jugend nun ein nahezu ebenbürtiges Werk des Italieners in unsere Kinos kommt. Im Vergleich zu La grande Bellezza bietet der Streifen zwar weniger malerische Poesie, überzeugt aber durch ein famoses Schauspielensemble und viel melancholischen Humor. Es ist ein schräges Panorama an Kunstschaffenden, die das Berghotel bewohnen, in dem Sorrentino seinen Film ansiedelt.. An vorderster Front sehen wir Michael Caine und Harvey Keitel, als langjährige Freunde. Während ersterer, in aktiver Zeit als einflussreicher Komponist berühmt, seinen Ruhestand genießen möchte, versucht Zweiterer sein Vermächtnis als Regisseur zu hinterlassen. In Nebenrollen überzeugen auf ganzer Linie dazu Rachel Weisz als des Komponisten Tochter, die ihren Freund an eine einfältige Popsängerin verliert und Paul Dano als Schauspieler, der sich in der Abgeschiedenheit der Schweizer Alpen auf eine schwierige Rolle vorbereitet. Diese sorgt in ihrer späten Enthüllung für einen der abstrakten und überraschenden Momente, die dem Film einen unwahrscheinlichen Sog verleihen. In diesem Zusammenhang sei auch auf eine irrwitzige Szene mit einem Diego Maradona-Verschnitt und einen verstörenden Gastauftritt von Kult-Diva Jane Fonda hingewiesen. Einen bedeutenden Aspekt in Ewige Jugend stellt die Musik dar, für die sich einmal mehr Grammy-Gewinner David Lang verantwortlich zeigte. Das Repertoire des Films reicht von Igor Stravinsky bis The Retrosettes Sister Band (You got the Love, Reality – La Boum) sowie von Claude Debussy bis David Guetta. Was die Stücke all dieser Künstler vereint, spiegelt die Kernaussage des Streifens dann auch bestens wieder. Die Sehnsucht der Protagonisten nach der titelgebenden ewigen Jugend findet hier seine audiovisuelle Entsprechung. In dieser starken Suche nach einem würdigen und sinnvollen Lebensabend findet sich dann auch eine kleine Schwäche des Films. Besonders die Dialoge der Hauptfiguren sind schlussendlich von übertrieben viel Bedauern über die eigene Sterblichkeit und verpasste Chancen geprägt. Glücklicherweise kann sich Sorrentino jedoch auf seinen Stammkameramann Luca Bigazzi verlassen. Der komplette Film strahlt eine unnachahmliche optische Pracht aus und unterstreicht so die Würde der handelnden Personen, die diese oftmals schon zu verloren geglaubt haben. Für Freunde des anspruchsvolleren Kinos ist Ewige Jugend eine weise und tiefgründige Erfahrung, visuell herausragend und großartig gespielt.

9/10

Für Fans von: La grande Bellezza – Die große Schönheit, Grand Budapest Hotel, Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit

Der Teil mit dem Krebs



Ich & Earl & das Mädchen

Im vergangenen Jahr war es Whiplash, der mit einer eigenständigen Idee und viel Herzblut beim Sundance-Festival groß abräumte. Whiplashs anschließende Erfolgsgeschichte bei den Oscars ist heute längst legendär, doch auch 2015 gewann beim weltgrößten Independentfilmfestival ein Streifen mehrere Preise, der unerwartet positiv von Publikum und Kritikern aufgenommen wurde. Ich & Earl & das Mädchen ist die Romanverfilmung von Jesse Andrews Debüt Me & Earl & the dying girl aus 2012. Auch die deutsche Übersetzung des Buches trug folgerichtig den fast schon lyrisch anmutenden, die Stimmung der Geschichte aber toll aufnehmenden Titel, Ich & Earl & das sterbende Mädchen. Der drohende Tod ist in der Storyline auch der treibende Aspekt, sodass sich mir absolut entzieht, warum Fox den deutschen Verleihtitel mal wieder so abschwächt. Das Beeindruckende an dieser Tatsache ist allerdings, dass dieses Manko, das dem Film selbst nicht vorzuwerfen ist, nahezu die einzige Schwäche eines großartigen Coming-of-Age- Dramas wurde. Die Geschichte des Highschool-Schülers Greg, der seine Freizeit gemeinsam mit seinem besten Freund Earl dem Nachdrehen von Filmklassikern widmet, bekommt einen entscheidenden Einschnitt, als er von seiner Mutter gezwungen wird, sich seiner an Leukämie erkrankten Nachbarstochter anzunehmen. Fortan begeistert Ich & Earl & das Mädchen besonders durch das Zusammenspiel der beiden Jungdarsteller Thomas Mann und Olivia Cooke, die beide auch in langen, schnittfreien Sequenzen durch ihren intensiven Ausdruck überzeugen. Ihr einfühlsames Miteinander überträgt sich anstandslos auf den Zuschauer, der generell nie durch Fremdschämmomente und triefenden Kitsch den Anschluss zu den Protagonisten verliert. Das Drehbuch bietet dazu punktierte Dialoge und eine vielschichtige Entwicklungsstory, die das Erwachsenwerden niemals als reine Abhandlung spezieller Ereignisse darstellt. Ich & Earl & das Mädchen ist zusätzlich in vielerlei Hinsicht ein absolutes Highlight für Filmbegeisterte. Wenn Greg und Earl Filme wie A Sockwork Orange oder 2:48 pm Cowboy drehen, Regisseur Alfonso Gomez-Rejon mehrfach das europäische Kino zitiert (er scheint einen besonderen Gefallen an den Werken von Klaus Kinski und Werner Herzog gefunden zu haben), oder Klassiker der Filmmusik in den Streifen integriert werden, hüpft das Herz eines jeden Kinofreundes vor Begeisterung. Dazu ließ sich Gomez-Rejon spürbar von den Werken Wes Andersons inspirieren. Kostüme und Set-Design sind an Skurillität kaum zu überbieten und tragen so beachtlich zur lakonischen Grundstimmung bei. Außerdem überrascht Ich & Earl & das Mädchen wiederholt durch unerwartete Kameraarbeit und den Einsatz von Stop-Motion-Technologie, die zusätzlich das Amateurfilmertum der titelgebenden Jungen feiert. Mit Nick Offerman (Parks & Recreation, 21 Jump Street) und Jon Bernthal (The Wolf of Wall Street, Herz aus Stahl) konnten dazu zwei bekannte Gesichter verpflichtet werden, die in ihren Nebenrollen als Gregs Vater beziehungsweise Geschichtslehrer für die meisten Lacher sorgen. Ich & Earl & das Mädchen kann über die gesamte Laufzeit von 108 Minuten glänzen. Weder inhaltlich noch tonal gibt es in der sensiblen Kombination aus Außenseiterkomödie und Krebsdrama Verfehlungen irgendwelcher Art. Herzhafte Schenkelklopfer und zu Tränen rührende Dialoge ergänzen sich hier hervorragend. Ein bewegender Film.

9/10

Für Fans von: Margos Spuren, Das Schicksal ist ein mieser Verräter, Juno

Die Dinos sind los



Arlo & Spot

2015 war es endlich wieder soweit. Mit Alles steht Kopf brachte Pixar einen außergewöhnlich guten Film in die Kinos. Pete Doctors Meisterwerk über die Tiefen unserer Empfindungen richtete sich jedoch interessanterweise viel eher an Erwachsene, denn an kleine Kinder. Letztere sind nun jedoch die Zielgruppe des selbst so betitelten „Weihnachtsfilms“ des Lampen-Studios. Arlo & Spot ist eine Abenteuergeschichte für die Kleinen, die zwar optisch einiges hermacht, jedoch frei von Spannung oder Überraschungsmomenten ist. Die Ausgangssituation ist dabei eine der absoluten Stärken des Films. Regiedebütant Peter Sohn entführt uns in eine Welt, in der niemals ein gigantischer Meteor die Erde getroffen hat und Dinosaurier gemeinsam mit allen anderen Spezies unseren blauen Planeten bevölkern. Aus der Sicht eines solchen, dem Apatosaurus Arlo, folgen wir nun den Ereignissen. Die Dinosaurier werden dabei als fortschrittliches Völkchen mit Familiensinn charakterisiert. Ihr Überleben sichert folgerichtig der Ackerbau. Der Menschenjunge Spot, der im Verlaufe des Films an Arlos Seite geriet, ist für jenen (und den Zuschauer damit auch) in Verhalten und Sprache zu Beginn unverständlich. Hier wird eine typische Kind-Hund-Beziehung herrlich ad absurdum geführt. Während Spot demzufolge als neugierig, mutig und durchsetzungsfähig gezeigt wird, muss Arlo im Laufe der 95 Minuten Laufzeit seine Angst überwinden. Denn anders als es der deutsche Verleihtitel verlauten lässt, steht die Freundschaftsgeschichte der ungleichen Jungen eher im Hintergrund der Story. Im Fokus der Erzählung steht Arlos Entwicklung, die durch den Tod seines Vaters und die Konfrontation mit der rauen Natur gekennzeichnet ist. Der Originaltitel des Films, The Good Dinosaur, hätte in seiner Übersetzung die Kernaussage des Films deutlich besser wiedergegeben. In klassischer Abenteuerfilmmanier muss Arlo auf seiner beschwerlichen Reise verschiedenste Gefahren überstehen. Die Filmemacher nutzen diese immer wieder um mehr oder weniger deutlich auf Klassiker des Genres einzugehen. So sind Parallelen zu König der Löwen, Der mit dem Wolf tanzt oder Der Herr der Ringe zu entdecken. An die Tolkien-Verfilmungen erinnert vor allem der Score des Oscarpreisträgers Mychael Denna (gewann den Preis 2012 für Life of Pi, ein Streifen, der auch für einige Szenen in Arlo & Spot Pate stand) der hier mit seinem Bruder Jeff leider in Sachen Aufdringlichkeit und Orchestrierung oftmals über das Ziel hinaus schießt. Die Arbeit der Animatoren hingegen ist tadellos. Selbst kleinste Details bleiben im weitläufigen 3D des Films mühelos erkennbar, dazu ist die Gestaltung des Wassers, an dem sich die Qualität einer Animation recht gut erkennen lässt, sehr sauber gelungen. Wer also einen Film auf dem Qualitätslevel der großen Pixarklassiker erwartet, wird enttäuscht werden. Dafür ist die Handlung zu vorhersehbar, die Figuren zu eindimensional und die Botschaft zu schlicht gestrickt. Eineinhalb Stunden gute Unterhaltung für Kinder sind mit Arlo & Spot jedoch gewiss.

6/10

Für Fans von: In einem Land vor unserer Zeit, Ice Age



Dienstag, 24. November 2015

Selig sind die geistig starren



El Club

„Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Dunkelheit“ (Gen 1.4). Dieses Zitat aus der biblischen Schöpfungsgeschichte stellt der Chilene Pablo Larrain seinem neusten Werk El Club voran. Schnell offenbart sich jedoch, dass die katholische Kirche und ihre Vertreter Licht und Dunkelheit keinesfalls unterscheiden wollen. El Club erzählt die Geschichte vierer Priester, die am Rande eines verlassenen chilenischen Dorfes ihr Dasein fristen. Aus verschiedenen Gründen wurden sie alle aus der Kirche ausgeschlossen, unter der Aufsicht einer auffällig freundlichen Ordensschwester mit ebenfalls komplizierter Vergangenheit verbringen sie nun ihren Lebensabend in diesem heiligen Exil. Ohne auf allzu plakative Rückblenden zuzugreifen, entfaltet sich die Vergangenheit der Protagonisten langsam, aber eindringlich im Kopf des Zuschauers. Diese fällt in Form des Missbrauchsopfers Sandokan ähnlich unbarmherzig, wie das raue Küstenklima über den trügerischen Frieden der Gemeinschaft ein. Dessen markerschütternde Monologe übernahm Larrain nach eigener Aussage von realen Geschädigten. Fortan beschäftigt sich El Club mit dem großen Thema kirchliche contra zivile Gerechtigkeit. Die Position, die ein jeder nach Betrachten dieses Streifens einnehmen wird, ist schnell geklärt, die Kunst des Films besteht viel mehr darin, das unbegreifliche Grauen in seiner Wirkung darzustellen, ohne reine Anklage zu sein. El Club vermeidet simple Schuldzuweisungen, sondern entfacht durch ein präzises Zusammenspiel von Inhalt und Form einen lodernden Hass gegen Ignoranz und Unantastbarkeit der Kirchenoberen im Kopf des Zuschauers. Larrain nutzt hierfür beispielsweise permanente Unschärfen in der Kameraarbeit für die Darstellung des Verschwimmens jeglicher moralischer Grenzen. Hier vermittelt die Atmosphäre das nicht sichtbare. Generell steht einer fast kammerspielartigen, minimalistischen Inszenierung einen maximale Aussagekraft gegenüber. An dieser Stelle sei diesbezüglich auch auf den hervorragenden Score hingewiesen, der sich sukzessive steigert und bis zum unerbittlichen Finale stetig besitzergreifender wird. Auch auf einer zweiten Ebene ist El Club ein wichtiger Film geworden. Eine Kernaussage des Streifens ist die Angst der Kirche vor der Macht der Medien. Nur durch deren Einfluss scheint die realitätsferne Parallelwelt der chilenischen Kleriker ins Wanken zu geraten. Auch außerhalb dieses Films sollte der Einfluss von Pablo Larrain daher nicht unterschätzt werden. Schon mit seinem letztem Werk, Chiles ersten jemals oscarnominierten Film No, konnte er einige Aufmerksamkeit auf Verstrickungen zwischen Politik und Medien lenken. Auch El Club steht nun auf der Auslands-Shortlist der Academy und gewann bereits den Großen Preis der Jury auf der Berlinale. El Club fordert den Zuschauer wahrlich heraus. Fernab jeglicher Moralvorstellungen, egal ob auf persönlicher Ebene oder auf die Institution Kirche bezogen, gilt es letztlich selbst Antworten zu finden. Dieser Film ist eine ungemütliche, aber lohnende Erfahrung.

8/10

Für Fans von: Am Sonntag bist du tot, Verfehlung

Donnerstag, 19. November 2015

Sinn und Sinnlosigkeit des Lebens



Irrational Man

In diesem Dezember wird er 80 Jahre alt. Und dennoch vermag uns die Arbeitsmoral eines Woody Allen kaum noch zu verwundern. Zielsicher und ohne größere Ausfälle spult der Altmeister sein im Grunde wahnsinniges Pensum von einem gedrehten Film pro Jahr herunter. Sicher wie das Amen in der Kirche können sich seine treuen Jünger darauf freuen, Allens neusten Streich im Herbst eines jeden Jahres zu Gesicht zu bekommen. So auch 2015. Für Irrational Man, der im Mai auf den Filmfestspielen von Cannes Weltpremiere feierte, übernahm der Stadtneurotiker einmal mehr den Regieposten und schrieb natürlich auch das Drehbuch zum Film. Auf einen Auftritt vor der Kamera verzichtet er allerdings wieder. Der titelgebende irrationale Mann ist Philosophieprofessor Abe Lucas, der desillusioniert vom Leben lustlos seinem Job nachgeht, in seinem Fachgebiet zwar ein echtes Genie, im Privatleben allerdings ein absolutes Wrack mit Alkoholproblem ist. Für diese Rolle konnte Woody Allen mit Joaquin Phoenix natürlich eine Idealbesetzung finden. Scheinbar mühelos verkörpert er den abgehalfterten Professor ohne jedoch seiner glänzenden Performance in Inherent Vice aus diesem Frühjahr nahe zu kommen. Allens aktuelle Muse Emma Stone darf ihm in der Rolle einer begeisterten Studentin dann auch regelmäßig Szenen stehlen. Detaillierter in die Handlung einzugehen, käme einem echten Frevel gleich. Denn was Allen nach einer guten halben Stunde Laufzeit aus dem Ärmel schüttelt, hat mich wirklich begeistert. Die betuliche und im Grunde vollkommen triviale Geschichte nimmt erstaunliche Wendungen und kann bis zum Schluss bestens unterhalten. Dennoch schwankt der Film teilweise recht unentschlossen zwischen Komödie, Thriller, Satire und Liebesgeschichte hin und her. Wenn Allen die Haupthandlung für einige Minuten ruhen lässt, kann ich einem jeden Zuschauer den Blick auf die Uhr nachempfinden. Auch wenn in Irrational Man stets eine unterschwellige Spannung herrscht, hätte besonders das dritte Viertel straffer erzählt werden können. Glücklicherweise kommt der Streifen mit einer knappen Gesamtlänge von 95 Minuten aus, sodass diese Unwägbarkeiten nicht übermäßig ins Gewicht fallen. Ansonsten gibt es typische Woody Allen-Kost mit sonnendurchfluteten Bildern, einer kleinen Prise Eskapismus, Frauen in bunten Sommerkleidern und viel Jazzmusik. Somit bietet Irrational Man eineinhalb Stunden vergnügliche Unterhaltung, die sich Fans natürlich nicht entgehen lassen sollten. Einen echten Klassiker für sein Œuvre hat Woody Allen in diesem Jahr jedoch nicht geschaffen.

7/10

Für Fans von: Match Point, Magic in the Moonlight, Cocktail für eine Leiche

Donnerstag, 5. November 2015

Der Tod steht ihm gut



James Bond 007 – Spectre

Casino Royale, Ein Quantum Trost und Skyfall etablierten viele Neuheiten innerhalb des James Bond-Franchises, die die Actionserie im neuen Millennium verankerten. Nicht umsonst war kein Akteur als 007 bislang erfolgreicher an den Kinokassen als Daniel Craig. Mit Spectre scheint sich nun in vielerlei Hinsicht ein Kreis zu schließen. Der rote Faden und die vielen losen Enden, die Craigs bisherige Filme offen ließen, führen nun zu einem in jeder Hinsicht überraschenden und ungewöhnlichen Bond-Abenteuer. Spectre knüpft zeitlich direkt an seinen Vorgänger Skyfall an und taucht tiefer in Geheimnisse aus Bonds Vergangenheit ein. Ein besonderes Augenmerk legt der Film auf die neu besetzten MI6- Mitarbeiter M, Q und Monneypenny, die mit ihrer starken Verwicklung in den Storyverlauf für einige echte Highlights sorgen. Überhaupt bindet Regisseur Sam Mendes, der sich auch schon für Skyfall verantwortlich zeigte, viele klassische Elemente aus der Connery-Ära ins Geschehen ein. So bekommen wir einen abgeschieden lebenden Bösewicht mit übermenschlichem Helfer (Dave Bautista macht als Mr. Hinx eine klasse Figur), einen großartig gefilmten Zugfight und den legendären Aston Martin DB5 ebenso zu sehen, wie die klassische Gunbarrel-Sequenz, die erstmals einen Craig-Bond eröffnet. Generell ist der Fan-Service in Spectre ziemlich ausgeprägt, Freunde der Reihe werden großen Spaß haben, Andeutungen und Querverweise zu anderen 007-Filmen zu finden. Auf gewohnt brilliantem Niveau bewegen sich dazu die Arbeit von Set-Designern und Kostümbildnern. Spectre ist von Minute 1 bis 148 die reinste Augenweite. Dazu trägt auch die großartige Kameraarbeit des Niederländers Hoyte van Hoytema (Her, Interstellar) bei, der sich hinter der oscarnominierten Leistung von Roger Deakins aus Skyfall nicht verstecken muss. In diesem Zusammenhang sei auf die perfekt getimte Pre-Title-Sequenz hingewiesen. Spectre beginnt mit atemberaubenden Stunts, einer aufwendig choreografierten Massenszene und einer beeindruckenden mehrminütigen Plansequenz. Generell verpasst Mendes dem Streifen einen ungewohnt künstlerischen Arthousetouch. Bei Titelsong und Creditscene funktioniert das auch noch bestens (trotz durchwachsener Meinungen in der Öffentlichkeit halte ich Writings on the Wall von Sam Smith hinsichtlich Orchestrierung und Melodieführung für einen bewegenden Bond-Song), die Verknüpfung von Inhalt und Form hat hingegen einige Schwächen. Mit Bonds Rachemission, seiner Vergangenheitsbewältigung, einem Subplot um totale Überwachung sowie dem Kampf gegen Spectre-Chef und Superschurke Franz Oberhauser wirkt das Drehbuch teilweise überlastet. Die einzelnen Storyfäden gehen nicht Hand in Hand. Dazu lässt sich Mendes enorm viel Zeit jede einzelne Geschichte auszuerzählen, was, obwohl Spectre sogar verhältnismäßig offen endet, das letzte Drittel des Films doch arg in die Länge zieht. Während die meisten Szenen in sich spannend inszeniert sind, kann Spectre die große Spannungskurve nicht über zweieinhalb Stunden aufrecht erhalten. Weiterhin Überraschendes lässt sich vom Cast des Streifens berichten. Es ist ausgerechnet der zweifache Oscargewinner Christoph Waltz, der hier mit Dienst nach Vorschrift unter dem sonst sehr starken Schauspielensemble zurückfällt. Eine besondere Erwähnung verdient meiner Meinung nach hingegen Lea Seydoux. Spectres Bondgirl ist eine vielschichtige und ebenbürtige Kämpferin an der Seite des Geheimagenten, die großartig von einer der besten Schauspielerinnen ihrer Generation verkörpert wird. Daniel Craig selbst hat 007 mittlerweile komplett verinnerlicht. Jedes Augenzwinkern und jeder lockere Spruch sitzt genauso, wie längere und intensivere Dialogszenen, von denen Spectre doch einige zu bieten hat. Mit seinem fast minimalistisch-kunstvollen Anstrich auf der einen und seinem klassisch-humorvollem Einschlag auf der anderen Seite, rundet Spectre die Craig-Ära zufriedenstellend ab.

8/10


Für Fans der James Bond-Reihe