Donnerstag, 28. April 2016

Geteilt ist doppelt schön




The First Avenger: Civil War

Die Ankündigungen, welcher Held der Avengers in The First Avenger: Civil War (aus Gründen der Logik und aus Protest gegen den deutschen Verleihtitel im Folgenden Captain America 3 genannt) einen Auftritt bekommen wird und welche Figuren neu eingeführt werden sollen, ließen Vorsicht walten. Bekommen wir tatsächlich noch einen Film der die spannende Geschichte aus Captain America 2: The Winter Soldier sinnvoll fortführt? Oder bewahrheiten sich die Unkenrufe, die den 13. Film des Marvel Cinematic Universe (MCU) als Avengers 2.5 abtaten? Das schöne ist: Der Film ist sowohl ein gigantisches Ensemblestück, als auch gelungene Fortsetzung der Geschichte um Steve Rogers und Bucky Barnes. Um es vorwegzunehmen: Captain America 3 richtet sich ausnahmslos an getreue Fans des MCU. Selbst wer nicht alle bisherigen Filme der Comicschmiede kennt, sollte zumindest die Avengers-Streifen und bisherigen Solo-Abenteuer des Patrioten mit dem Schild gesehen haben, um der Handlung folgen zu können. Diese entzweit die Avengers diesmal in der Frage, ob nach den Ereignissen in Avengers: Age of Ultron und Captain America: The Winter Soldier, eine UN geleitete Kommission die Einsätze der Superheldengruppe überwachen soll. In stattlichen, aber kurzweiligen 147 Minuten Laufzeit werden wir so Zeuge von Lagerbildungen, die so nicht zu erwarten gewesen wären, jedoch allesamt auf einem soliden inhaltlichen Fundament stehen. Überhaupt ist die zwischenmenschliche Komponente die größte Stärke des Streifens, zumal eine Steigerung hinsichtlich Bombast auch kaum möglich gewesen wäre, ohne noch lächerlicher zu wirken, als dies bereits im Finale von Avengers 2 der Fall war. An dieser Stelle sei bereits auf den großartigen Endkampf in Captain America 3 hingewiesen, der fast schon ruhig und intim daherkommt und großen Einfluss auf die perfekte Inszenatorische Balance des Films hat. Zuvor jedoch kommt es nach eineinhalb Stunden menschlicher und politischer Verwicklungen zum schon in den Trailern angerissenen Quasi-Showdown zwischen nahezu allen Avengers-Mitgliedern (lediglich Hulk und Thor haben hier keinen Auftritt). In diesem phänomenalen Fight, der am Leipziger Flughafen entstand und dort auch spielt, zahlt sich die gute Vorarbeit des Films auf emotionaler Ebene aus. Denn nicht nur ist Optik und Verlauf der epischen Schlacht enorm unterhaltsam, die übermittelte Tiefe aus den einzelnen Entscheidungen der Figuren im Vorfeld kommt im großen Clash auch vollends zum Tragen. So sehen wir die großartigen Vision und Scarlet Witch, die mit ihren übernatürlichen Fähigkeiten und ihrer kybernetischen Existenz hadern und dennoch (oder gerade deswegen) die moralische Instanz des Filmes innehaben und den zentralen Kampf um Überwachung, den Iron Man und Captain America selbst austragen und deren Argumente der Zuschauer beidseitig konsequent nachvollziehen kann. Dazu können wir uns an amüsanten Gastauftritten von Hawkeye und Ant-Man erfreuen. Besonderes Lob verdienen auch noch die Neuzugänge im Avengers-Team Black Panther, auf dessen Solo-Film im Jahr 2018 hingearbeitet wird und Spiderman, der bereits im kommenden Jahr einen eigenen Film im MCU spendiert bekommt. Ersterer ist für die Plotentwicklung essentiell, Zweiterer für den Unterhaltungsfaktor. Fakt ist in jedem Fall: Marvel hält seine Fans so bei der Stange. Die Probleme in Captain America 3 möchte ich allerdings nicht verschweigen. Zuerst eine kleinen Randnotiz: Verschiedene Städte und Länder stehen in internationalen Produktionen immer wieder Pate für eigentliche Spielorte, an denen aus verschiedensten Gründen nicht gedreht werden konnte. Daher möchte ich dem Film dies nicht vorwerfen. Dennoch ist es etwas seltsam anzusehen, wenn eine mit deutschen Polizisten und deutschen Autos gefilmte Verfolgungsjagd im Berliner ICC Bukarest darstellen soll. Doch zur eigentlichen großen Schwäche des Films. Leider bewahrheitet sich erneut, dass es im MCU bisher keinen interessanten Antagonisten außer Loki gibt. Trotz aller Freude über das Casting von Daniel Brühl als Baron Zemo, fungiert dieser doch nur als unnötiger Stein des Anstoßes und wird mit einem unglaubwürdigen und uninspirierten Plot in den Film gequetscht. Die weiterhin schön mysteriöse Figur des Winter Soldiers Bucky Barnes hätte daher völlig gereicht, um Team Cap und Team Iron Man aufeinander zu hetzen. Des Weiteren ist Superstar Martin Freeman in seiner Rolle als Agent der Strafverfolgungsbehörden komplett verschenkt. Der restliche Cast hingegen begeistert uneingeschränkt. Besonders Elisabeth Olson als Scarlet Witch und Paul Bettany als Vision, der auch unter seinem brillant animierten Anzug noch schauspielerische Tiefe erkennen lässt, haben mich positiv überrascht. Die Inszenierung ist in Captain America 3 auf gewohnt fehlerlosem Niveau. Die Actionsequenzen werden sehr dynamisch aber übersichtlich auf die Leinwand gebracht und erinnern auch in ihrer gesunden Härte an die Bourne-Trilogie oder die jüngeren James Bond-Filme. Somit gilt abschließend festzuhalten, dass die Russo-Brüder nach Captain America: Winter Soldier auch in ihrer zweiten Regiearbeit im MCU Großes ablieferten und somit die perfekte Wahl für das gigantische Franchise-Finale Avengers: Infinity War 1 und 2 in den Jahren 2018/19 sind. 

8/10

Für Fans von: Allen MCU-Filmen, The Dark Knight

Montag, 25. April 2016

Friends and the Cheers-City




How to be single

Wer aus welchem Grund und ob jemand überhaupt in Hollywood die Vorstadtkrokodile- Trilogie kennt, sei dahingestellt. Drehbuchautor und Regisseur Christian Ditter zumindest scheinen die Jugendfilme viele Türen geöffnet zu haben. Der gebürtige Hesse legt nach seinem Achtungserfolg Love, rosie – Für immer vielleicht mit How to be single seine zweite englischsprachige Produktion vor. Leider ist der Film durch seine Vorhersehbarkeit und seine uninspirierte Inszenierung trotz einiger schöner Momente keine Werbung für den Regisseur. How to be single folgt vier Frauen in ihrem Leben als Alleinstehende in New York. Jedes Klischee, das dem geneigten Filmfreund beim lesen dieser Zeile in den Kopf kommen mag, wird dann auch genussvoll von How to be single bedient. Natürlich prallen die Lebensentwürfe Karriere, Sex, Selbstfindung und Partnersuche aufeinander. Natürlich erfolgt ein Bekenntnis des Films zum behüteten (Familien-)Leben und natürlich werden auch die rigorosesten Damen letztlich von ihren Gefühlen auf den richtigen Weg gebracht. Diese ganze uninspirierte Mischung aus Episodenkomödie, Chick-Flic und Hipster-Film fällt durch eine unglaubliche Trivialität, erstaunliche Inhaltsarmut und ungewollten Eskapismus auf. Kaum eine Entwicklung in Handlung oder Figurenzeichnung wirkt sonderlich real, dazu scheint New York eine verträumte Kleinstadt mit enormem Raumüberschuss zu sein. Plakative Mitfühlsequenzen und übertriebenes Product Placement runden das negative Erscheinungsbild noch zusätzlich ab. Bei all der harschen Kritik ist How to be single aber kein durchweg furchtbarer Film geworden. Ditters Team vermittelt zwar konsequent das Gefühl eine Sitcom zu sehen, zeigt diese allerdings in schwelgerischen Bildern mit toller Ausstattung und Farbgestaltung, die von einem abwechslungsreichen und stimmigen Soundtrack untermalt sind. Dazu ist der Cast bestens aufgelegt. 50 Shades of Grey-Star Dakota Fanning kann in der Quasi-Hauptrolle überzeugen. Auch wenn ihre Figur unwahrscheinlich realitätsfremd charakterisiert wurde, bleibt man als Zuschauer gern an ihrer Seite. Rebel Wilson stiehlt dazu auch hier als Proll-Blondine mit reichlich Körpereinsatz allen die Show und sorgt für die besten Lacher, sollte allerdings aufpassen nicht in die Type-Cast-Falle zu tappen. Schlussendlich erstickt Christian Ditter How to be single trotz einiger guter Ansätze bereits im Keim. Eine klarer strukturierte Story und eine erwachsenere Inszenierung (uninspirierte Popkulturzitate und leuchtende Schrift von Smartphone-Nachrichten auf der Leinwand braucht mittelerweile wirklich niemand mehr) hätten aus einem leicht unterdurchschnittlichen noch einen unterhaltsamen Frauen-Film machen können. 

5/10

Für Fans von: Brautalarm, Can a Song save your live?, Sex and the City

Sonntag, 24. April 2016

In der Halle des Tonkönigs




Fritz Lang

Zum Ende der 1920er Jahre steckte der deutsch-österreichische Meisterregisseur Fritz Lang in einer Schaffenskrise. Nach den aufreibenden Dreharbeiten zu Frau im Mond und seinem Klassiker Metropolis war er phantastischen Stoffen überdrüssig, dazu begeisterte der aufkommende Tonfilm mit seinen Sing- und Tanzdarbietungen auf der großen Leinwand die Massen. Zu Beginn lehnte Lang diese Art des Filmemachens noch ab, doch die Produzenten der Ufa forderten ein neues Drehbuch, um Lang auch als Tonfilmregisseur zu etablieren. Dass Lang auch durch große private Schwierigkeiten mit seiner Frau und Autorin Thea von Harbou litt, verkomplizierte die Sache noch zusehends. Die Filmhistorie allerdings weiß: 1931 erschien Langs erster Tonfilm. Das Meisterwerk M – Eine Stadt sucht einen Mörder gilt bis heute als herausragender Kriminalstreifen und vorbildliche Auslotung des neuen akustischen Filmmediums. Gordian Mauggs Fritz Lang beleuchtet nun den Weg, den der gebürtige Wiener auf der Suche nach einem neuen Filmstoff zurücklegte. Dabei offenbart sich dem Zuschauer ein äußerst vielfältiges Werk. Maugg zeigt uns hier kein typisches Bio- Pic. Vielmehr entwickelt sich ein interessanter Sog aus der Mischung verschiedener inhaltlicher und technischer Aspekte. Fritz Lang wurde in klassischem 4:3-Format gedreht und kommt in typisch expressionistisch-schwammigem schwarz-weiß daher. Dazu webt Maugg immer wieder Aufnahmen realer Wochenschau- und Dokumentationsfilme, sowie Ausschnitte aus den Filmen Langs in das Geschehen ein. Berlin und Düsseldorf als Handlungsorte kommen extrem düster daher. Fritz Lang fängt somit optisch die Schattenseiten der goldenen 20er ein. Doch auch inhaltlich bleibt der Film dieser dunklen Art treu. Der Exzentriker Lang wird als getriebener Drogenabhängiger mit Vorliebe für Prostituierte gezeigt. Dazu integriert Maugg geschickt die Kontroverse um den Tod von Langs erster Frau Elisabeth Rosenthal in das Geschehen. Langs Charakter bleibt somit letzten Endes genauso rätselhaft wie viele seiner Taten. Vielschichtig beleuchtet gelang der Werdegang des Regisseurs zum paranoiden Besessenen dennoch. Mit zunehmender Spieldauer rücken die Recherchen des Regisseurs über die sogenannte Düsseldorfer Bestie in den Vordergrund, die die Grundlage für den späteren M – Eine Stadt sucht einen Mörder bilden sollten. Im Zwiegespräch mit dem inhaftierten Serienkiller Peter Kürten offenbart sich eine tiefe und abstoßende Faszination Langs für dessen Taten, die ihn noch weiter vom Publikum entrückt. Trotz dieser emotionalen Unwägbarkeiten bleibt die Darstellung Langs durch die tolle Arbeit von Heino Ferch stets beeindruckend. Der Charakterkopf vermittelt die cholerischen sowie stoischen Momente des Protagonisten gleichsam glaubhaft. Abschließend ist Fritz Lang definitiv ein Film für ein cinephiles Publikum geworden. Die Auseinandersetzung mit der Handlungsepoche sollte dem Kinobesuch in Grundzügen vorausgehen. Wer sich auf Fritz Lang einlässt bekommt dann auch ein eigentümlich faszinierendes Kinoessay aus Psychogramm eines innerlich Getriebenen und experimentellem Gesellschaftsporträt der Weimarer Republik zwischen den Nachwehen der Weltwirtschaftskrise und dem Aufflammen der NS-Zeit geboten 

7/10

Für Fans von: M – Eine Stadt sucht einen Mörder, Aviator

Ein Familienkrieg




A war

Das kleine Land Dänemark spielt seit jeher eine erstaunlich große Rolle im internationalen Kino. Regisseure wie Bille August, Lars von Trier, Nicolas Winding Refn und Susanne Bier sind längst jenseits des großen Teiches erfolgreich, während der ersten Ausbreitung der Filmkunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Dänemark sogar als Kinomittelpunkt der Welt bezeichnet. So verwundert es nicht, dass dänische Beiträge regelmäßig ein fester Bestandteil der oscarnominierten Streifen für den besten nicht-englischsprachigen Film sind. Dies war auch 2016 der Fall. A war konnte sich zwar nicht gegen den favorisierten Son of Saul aus Ungarn durchsetzen, sorgte mit seinem außergewöhnlichen Stil aber für viel Gesprächsstoff. A war porträtiert den Kriegseinsatz der dänischen Armee im Afghanistan- Krieg. Am Beispiel des Offiziers Claus Pedersen stellt der Film die großen Fragen nach Schuld und Verantwortung in einem ziellosen, chaotischen Konflikt. Wer sich dabei einen reißerischen Militärthriller amerikanischen Prägung erhofft, wird von A war jedoch enttäuscht werden. Regisseur Tobias Lindholm mischt vielmehr Kriegsfilm und Arthousekino. Denn der Einsatz am Hindukusch ist nur eine von vielen Ebenen, in der A war die Auswirkungen des Krieges auf eine Gesellschaft untersucht. Parallel dazu sehen wir die Leiden der Familie Pedersen, die in Form von Mutter und drei Kindern ihren Alltag mit der ständigen Angst um das Leben des Vaters bzw. Mannes zu bewältigen sucht. Dieser Aspekt kommt vor allem in der Frage nach richtigen Entscheidungen am Ende des knapp zweistündigen Films zum Tragen, während die Nebenhandlung um Maria Pedersen und ihre Kinder den Zuschauer im größten Teil des Films doch leider regelmäßig aus dem Geschehen wirft. Denn das fast dokumentarisch gefilmte Schicksal der Soldaten im Einsatz gibt A war die eigentliche innere Spannung, die den Film trägt. Der Afghanistan-Krieg ist dafür nur als Schablone zu sehen. Lindholm verzichtet auf jegliche örtliche und zeitliche Einordnung, jeder bewaffnete Konflikt könnte in jedem Land und zu jeder Zeit Pate für die Ereignisse stehen. Weiterhin gibt es im gesamten Film nur wenige Augenblicke, die von Musik untermalt werden. Die Kameraführung ist extrem kompakt, durch den intensiven Einsatz der over-the-shoulder Perspektiven fühlt sich der Zuschauer ständig als Teil des Geschehens. Dazu sorgt die minimalistische Ausstattung des Streifens für ein zusätzlich fremdes und beklemmendes Gefühl, das sich besonders in den beängstigend realistisch gefilmten Actionsequenzen frustrierend niederschlägt. Diese bewusste Auslassung und Verdichtung auf inhaltlicher und visueller Ebene stellt den seelischen Zustand des Soldaten in den Mittelpunkt des Geschehens. Da A war jegliche Bewertung des Geschehens vermeidet, überlässt er dem Zuschauer den Umgang mit den eigenen Emotionen selbst. Nicht jeder wird mit dieser Art des Filmemachens einverstanden sein. Doch wer gern über den Tellerrand hinaus schaut, belohnt sich hier mit einem eindrücklichen Drama über die psyschichen Auswirkungen des Krieges und die Stellung des Soldaten in der Zivilbevölkerung, dem es lediglich etwas an Konstanz und Timing mangelt. 

7/10

Für Fans von: Zero Dark Thirty

Donnerstag, 14. April 2016

Probiers mal mit Ernsthaftigkeit




The Jungle Book

Das Dschungelbuch von 1967 ist auch fast 50 Jahre nach seiner Veröffentlichung noch der erfolgreichste Kinofilm, der je in Deutschland zu sehen war. Über 27 Millionen Menschen sahen Disneys famose Adaption von Rudyard Kiplings 1894 erschienenen Romans. Iron Man-Regisseur Jon Favreau nahm sich nun des Stoffes an und bringt mit The Jungle Book eine technisch brilliante und düstere Version des Klassikers in die Kinos. An den legendären Figuren und dem thematischen Grundgerüst ändert Favreau nichts, Details und Charakterentwicklungen hingegen werden sicherlich für einige Überraschungen sorgen. An dieser Stelle sollen diese aber noch verborgen bleiben. Der sicherlich spannendste und auffälligste Aspekt in The Jungle Book ist dessen bahnbrechende Optik. Fast dokumentarisch oder fotorealistisch mutet der Dschungel aus 2016 an. Die Details an Tieren und Pflanzen sind atemberaubend, die komplette Erschaffung der Welt am Computer nahezu unbegreiflich, das 3D ein echter Mehrwert in puncto purer Kinomagie. Neel Sethi, der mit Mowgli die einzig reale Figur im Film spielt, wird perfekt in das animierte Geschehen integriert und geriet nie zur optischen Ausnahme. Dazu ließ Favreau komplette Dschungel- Sets nachbauen, den jungen New Yorker mit Puppenspielern drehen und verzichtete weitestgehend auf Motion-Capturing. Das Resultat ist auf der gesamten audiovisuellen Ebene schlicht umwerfend. Thematisch geht es in The Jungle Book allerdings weitaus finsterer zu, als im märchenhaften Original. Viele Songs weichen einem bedrohlichen Score, lediglich The bear necesseties (Probiers mal mit Gemütlichkeit) und King Louies I wanna be like you werden in einer deutlich pessimistischeren Version im fertigen Streifen dargeboten. Generell ist die Charakterisierung der handelnden Tiere viel ausgereifter, aber auch bedrückender geworden. Für diesen sehr plausibel entwickelten Aspekt nimmt sich The Jungle Book mit seinen 106 Minuten Laufzeit auch angenehm viel Zeit. Dem zweiten großen Pluspunkt des Films sei der Tipp vorangestellt, The Jungle Book unbedingt im englischen Original zu sehen. Denn die Arbeit der Original-Synchronsprecher gehört zu den besten aller Zeiten. Das Who-is-Who der für stimmliche Besonderheiten berühmten Schauspieler tritt hier auf. Neben Christopher Walken als King Louie, Lupita Nyong'o und Breaking Bad-Star Giancarlo Esposito als Mowglis Eltern und Sir Ben Kingsley als Baghira, bleiben vor allem Idris Elba als Shir Khan und Bill Murray als Balu mit ihrer genialen stimmlichen Verkörperung nachhaltig im Gedächtnis. Jon Favreau selbst und Kultregisseur Sam Raimi haben überdies kleine Nebenrollen eingesprochen, Scarlett Johannson übernahm die Synchronisierung der Schlange Kaa. Ein Hinweis noch zum Schluss: Die Freigabe ab 6 Jahren, die The Jungle Book von der FSK erhielt, halte ich für deutlich zu niedrig. Für Kinder im Grundschulalter geht es doch verhältnismäßig gewalttätig und dunkel zur Sache. Generell wird The Jungle Book aber in allen Generationen, sei es bei den Fans des Original-Streifens, oder bei Neulingen in der Materie, Begeisterung hervorrufen können. 

9/10

Für Fans von: Das Dschungelbuch, Life of Pi

Level up!




Hardcore

Der Sänger und Gitarrist der russischen Band Biting Elbows, Ilja Naischuller, ist eigentlich Filmschaffender. Folgerichtig entstand unter seiner Regie das erste Musikvideo der Band. Der komplett in der Ego- oder First-Person-Perspektive gedrehte Clip zum Punk-Song Bad Motherfucker wurde ein viraler Hit und erregte somit die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit. Unter der Federführung von Russlands derzeit erfolgreichstem Hollywood- Export Timur Bekmambetov (Regisseur von Wanted, Produzent von Unknown User) wurde Naischuller so sein ersten Langfilm ermöglicht, der den Stil des Musikvideos übernimmt, als ultrabrutaler Bastard von einem Film Independent-Filmfestivals aufmischte und nun auf der großen Leinwand zu erleben ist. Die Story von Hardcore (im Original sinnvoller Weise nach seinem Protagonisten Hardcore Henry genannt) ist nicht weiter erwähnenswert und wird im Film schließlich auch nicht plausibel verfolgt, jedoch ist dies überhaupt nicht das Ansinnen der Filmemacher und fällt somit auch nicht ins Gewicht. Hier steht Stil eindeutig über Inhalt. Und dieser ist schlicht genial. Hardcore wird als erster Kinofilm in der reinen Egoshooter-Perspektive in die Geschichte eingehen. Doch Naischuller nutzt diese Technik nicht nur um tolle Bilder zu kreieren (gedreht wurde übrigens mit einer handelsüblichen GoPro Hero3), sondern huldigt den großen Ballerspielen der letzten Dekaden und der klassischen Popkultur an sich. Der Ablauf von Hardcore scheint dann auch einem Computerspiel entsprungen zu sein. Viele Szenen legen sich einen levelartigen Aufbau zugrunde. Die wiederkehrend benötigte Gesundheitsversorgung, verschiedenste Waffengattungen, zufällig gefundene Items, die die Handlung vorantreiben und zahlreiche Deus-Ex-Machina-Momente lassen die Herzen von Genrefans höher schlagen. Der ausufernde optische und akustische Overkill, in dem dieses Schema eingebettet ist, wird auch über die kompletten 90 Minuten Laufzeit konsequent durchgezogen. Trotz der satirischen Überhöhung der gesamten Szenerie ist die vergebene FSK-18-Einstufung damit auch nachvollziehbar gewählt. Da der eigentliche Hautdarsteller der gewählten Perspektive zufolge niemals auf der Leinwand zu sehen ist, bleibt dem Zuschauer aus dem Cast vor allem der Cameo von Hollywood-Legende Tim Roth und das abgedrehte Overacting des Südafrikaners Sharito Copley in Erinnerung, für das er in seinen Rollen aus District 9 oder Elysium noch hart kritisiert wurde, Hardcore nun aber perfekt zu Gesicht steht. Ein uneingeschränkter Spaß ist der Film dann aber dennoch nicht geworden. Besonders in der zweiten Hälfte schleichen sich doch einige Längen ein und bis zum herrlich abgedrehten Finale wird man auch das Gefühl nicht los bereits mehrere abschließende Shootouts gesehen zu haben. Die phantasiereiche Detailfülle der ersten Hälfte zumindest kann nicht durchgehend aufrechterhalten werden. Und natürlich sei Hardcore Gegnern wackliger Bilder und schneller Bildfolgen nicht empfohlen. Wer sich diesem Spektakel allerdings aussetzt wird mit einer zynischen, gewalttätigen Vision zwischen ambitionierten Fanprojekt und ausufernder Genreproduktion verwöhnt, die die vielleicht beste Computerspielverfilmung aller Zeiten ist, obwohl sie nicht auf einem solchen basiert und das Zeug zum absoluten Kultfilm hat. 

7/10

Für Fans von: Crank 2: High Voltage, Doom

Samstag, 9. April 2016

Der Parkplatzwächter von der Eisenbahn




Ein Mann namens Ove

Ein einsamer, grantiger Mann findet durch einen Blick über den Tellerrand Wege der Aussöhnung und letzten Endes zu sich selbst – die klassische Geschichte schwarzhumoriger Tragikomödien. Auch Ein Mann namens Ove arbeitet sich an den altbekannten Vorgaben dieser Storyline ab, die dank toller Darsteller und trockener und dennoch herzlicher Dialoge dennoch gut unterhalten. Der titelgebende Ove ist nach dem Tod seiner Frau und der eigenen Pensionierung des Lebens überdrüssig. Doch seine Suizidversuche werden stets unterbrochen. Meist sind nervende Nachbarn der Grund dafür – mit denen steht der selbsternannte Vorstadtwächter Ove ohnehin auf Kriegsfuß. Als eine junge persische Frau mit ihrer Familie in diese scheinbare Idylle platzt, bedingt der kauzige alte Mann seine Entscheidung zu überdenken. Eine so herkömmliche Ausgangssituation benötigt engagierte Mitwirkende, um ein überdurchschnittlicher Film zu werden. Bei Ein Mann namens Ove ist dies glücklicherweise der Fall. An vorderster Front begeistert Rolf Lassgård (hierzulande als Wallander berühmt geworden) als herrlich grantiger aber liebenswerter Einzelgänger. Er trifft genau den richtigen Ton um sowohl Parodie auf die typische Vorstadthölle als auch emotionales Zentrum der herzerwärmenden Geschichte zu sein. Zweiter Aspekt gewinnt mit zunehmender Spieldauer am Bedeutung, wenn äußerst stimmig in den Film integriert die Liebesgeschichte von Ove und seiner Frau Sonja mittels Rückblenden erzählt wird. Den schwarzen Humor der ersten halben Stunde kann der Streifen nicht beibehalten, durch einen sehr augenzwinkerndem Score und perfekt durchkomponierte Bilder macht Ein Mann namens Ove allerdings auch weiterhin Freude. Glücklicherweise bleibt der Film dem trockenen Humor seiner schwedischen Heimat treu. Doch auch die leiseren Töne, die sich hauptsächlich mit Trauerverarbeitung und dem Gebraucht werden beschäftigen, wirken durch die tolle Arbeit des Casts nicht fremd. Mit 117 Minuten wirkt Ein Mann namens Ove auf dem Papier recht ausgedehnt, doch gerade in der zweiten Hälfte des Films werden einige Nebenhandlungen recht hektisch abgefrühstückt und nicht auserzählt. Dem Ensemble hätte man auch noch etwas länger zugeschaut. So verdanken wir Hannes Holms fünfter Regiearbeit Ein Mann namens Ove schön anzuschauende und erheiternde Unterhaltung mit leichten tonalen Ungereimtheiten. 

7/10

Für Fans von: Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit, St. Vincent

Donnerstag, 7. April 2016

Willkommen in der guten Stube




10 Cloverfield Lane

Mit einem völlig neuen Einsatz von Marketing kam Cloverfield 2008 in die Kinos. Die Mischung aus absoluter Geheimhaltung und erstmals eingesetzten viralen Versatzstücken (so konnten Fans des Films sich vorab mit den MySpace-Profilen der Figuren beschäftigen) wurde mindestens genauso bekannt wie der unterhaltsamer Monster-Horror-Actioner. Der damals federführende Produzent und heutige Star Wars-Mastermind J.J. Abrams überließ Matt Reeves den Regieposten, der Cloverfield als Sprungbrett für seinen bislang erfolgreichsten und besten Film, Planet der Affen: Revolution nutze. Bei 10 Cloverfield Lane ist die Ausgangssituation nun fast identisch. Abrams hielt die Existenz des Films so lange wie nur möglich komplett geheim. Er ließ den Streifen unter wechselnden Namen drehen und veröffentlichte erst 8 Wochen vor Kinostart einen ersten Trailer. Den Regieposten übernahm in diesem Falle der Amerikaner Dan Trachtenberg, für den 10 Cloverfield Lane der erste Kinofilm seiner Karriere ist. Und ihm sei nach dieser Arbeit ein ebenso fruchtbarer Werdegang gewünscht wie Matt Reeves. Denn 10 Cloverfield Lane ist ein innovativer und hochspannender Thriller geworden. Wer sich nach J.J. Abrams Aussage, der Film spiele im selben Universum wie Cloverfield, oder sei dessen Blutsverwandter auf einen weiteren Monsterfilm in Handkameraoptik gefreut hat, wird von 10 Cloverfield Lane enttäuscht werden. Trachtenberg erzählt hier eine klassische Bunkergeschichte, in der Misstrauen, Angst und Ungewissheit den Nährboden für explosive menschliche Beziehungen bilden. Die Prämisse des Films sieht drei Menschen in einer Schutzanlage eingesperrt, die angeblich vor einem chemischen oder nuklearen Fallout schützt. Als scheinbarer Retter in der Not darf John Goodman nach unfassbaren 18 Jahren (Blues Brothers 2000) endlich mal wieder in einer Hauptrolle glänzen. Sein Bunkerchef Howard ist eine herrlich ungreifbare Persönlichkeit, die binnen Sekunden von väterlichem Freund zu besessenem Kontrollfreak und zurück schwankt. Goodmans Performance ist dabei schlicht genial. Als Heldin des Films darf Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt-Star Mary Elisabeth Winstead das neuste Mitglied der Bunkerfamilie geben. Sie wertet die klassische Charakterisierung des verlorenen Mädchens in einem Psychothriller durch ihre Intelligenz und Verschlagenheit deutlich auf. Ihre Figur geht auch dank des tollen Schauspiels über die Opferrolle hinaus. 10 Cloverfield Lane weiß auch technisch aus seiner Kammerspielathmosphäre Profit zu schlagen. Die behutsame Kameraarbeit und die etwas anachronistische Ausstattung der Zufluchtsstätte lassen an eine behütete Kindheit in der guten alten Zeit zurückdenken – ein Punkt der auch in der inhaltlich von Interesse sein wird. Als finsterer Kontrast darf gerne der bedrohliche Score des Serienkomponisten Bear McCreary gelten, der gezielt mit den Nerven des Zuschauers spielt. Bis zum überraschenden Ende dreht Dan Trachtenberg 103 Minuten unbarmherzig an der Spannungsschraube, um schlussendlich leider doch mit einer kleinen Enttäuschung zu enden. Die finale Entwicklung des Drehbuchs, an dem übrigens Whiplash-Regisseur Damien Chazelle mitwirkte, hat für mich doch die beeindruckende Sogwirkung des Films abgeschwächt. Für einen reinen Twist sind die letzten Minuten von 10 Cloverfield Lane zu offensichtlich und breitgetreten, für einen eigenen Handlungsstrang zu hektisch. Was bleibt ist ein großartig gespielter, größtenteils überraschender und optisch toller Thriller, der Lust auf mehr macht. 

8/10

Für Fans von: Misery, Raum, Krieg der Welten

Montag, 4. April 2016

Hoch auf dem braunen Wagen




Der schwarze Nazi

Sikumoya Mumandi hat es als Kenianer in Deutschland nicht einfach. Trotz seines großen Integrationswillens, seiner einheimischen Freundin und seiner bemerkenswerten Sprachkenntnisse wird er zur Zielscheibe rechtsextremer Gangs und lässt sich von Einwanderungsbefürwortern instrumentalisieren. Denn sein eigentliches Ziel, wie in seiner afrikanischen Heimat als Lehrer zu arbeiten, wird ihm verweigert. Sikumoya versucht nun deutscher Staatsbürger zu werden. Dieser Ausgangssituation folgt in Der schwarze Nazi eine groteske und schwarzhumorige Geschichte, in der Sikumoya nach einer Kopfverletzung den dumpfen Parolen der fiktiven Nationalen Patrioten Ost (NPO) anheim fällt, deren Mitglieder auf ihr wahres Deutsch sein prüft und sie letzten Endes rechts überholt. So entstehen die zweifellos witzigsten Szenen des Films in der Konfrontation fremdenfeindlicher Populisten mit altem, deutschen Kulturgut, wie etwa Goethes Osterspaziergang oder Franz Schuberts Am Brunnen vor dem Tore. Solche Szenen zeugen von einigen guten Regieeinfällen in Der Schwarze Nazi. Doch im Gesamten wirkt der Streifen recht uneinheitlich. Die für Regie, Drehbuch, Kamera und Schnitt verantwortlichen Brüder Karl-Friedrich und Tilman König präsentieren ihr Kinodebüt eher als lose Abfolge absurder Szenen und unwahrscheinlicher Konfrontationen. Die eigentliche Handlung wird dabei oft vernachlässigt, die unterdurchschnittliche technische Umsetzung des Films und der auffällig uninspirierte Schnitt sorgen zusätzlich für den Eindruck einer Sketchrevue, die in das Korsett eines Kinofilms gepresst wurde. Dazu kommen zur offen linken Einstellung der Verantwortlichen (die König-Brüder sind Söhne des umstrittenen Jenaer Jugendpfarrers Lothar König) teilweise äußerst platte Gags über die statische Arbeit der deutschen Ämter und das Verhältnis von Ost- und Westdeutschen, die den lobenswerten politischen Ansatz konterkarieren. Trotz seiner fehlenden inhaltlichen Balance und der geringen Schauwerte (bei einem Budget von etwa 60.000 € nachvollziehbar) ist Der schwarze Nazi ein unterhaltsamer Film geworden. Die Laufzeit von 105 Minuten geriet erfreulich kurzweilig, die meisten Gags zünden und legen im Idealfall auch den Finger in die richtigen Wunden. Gelungen ist ebenfalls die musikalische Gestaltung des Films durch das Klangkollektiv Sciencemusic, die sich durch eine spannende Mischung aus stampfenden Industrialbeats und einer Persiflage auf deutsche Volkslieder sowie -musik auszeichnet. Abschließend kann man Karl-Friedrich und Tilman König ihr Engagement und ihre vielfältigen Ambitionen zugutehalten, einen wirkliche guten Film haben die beiden aber dennoch nicht geschaffen.

5/10

Für Fans von: Heil, Schtonk!

Freitag, 1. April 2016

Spaziergang statt Radtour








Silent Heart – Mein Leben gehört mir

Bille August hat sich verdientermaßen in seiner langen und erfolgreichen Karriere sowohl einen Platz unter den Filmemachern europäischen Autorenkinos erarbeitet, ebenso wird er als zielstrebiger Regisseur für größere, internationale Produktionen geschätzt. Und so finden sich in Augusts Vita neben prominent besetzten, englischsprachigen Streifen wie Les Miserables, Fräulein Smillas Gespür für Schnee oder Nachtzug nach Lissabon auch stetig kleinere Werke, die der Däne gern in seiner Heimat dreht. Zu letzterer Kategorie zählt der nun in den Kinos erscheinende Silent Heart. Das minimalistische Kammerspiel erzählt vom Wunsch der ALS-Erkrankten Esther noch unter vollem Besitz ihrer körperlichen Kräfte zu sterben. Zu diesem Zwecke lädt sie ihre gesamte Familie, die sie (zu Beginn) in ihrem Vorhaben unterstützt, zu einem gemeinsamen Abschiedswochenende in ihr abgelegenes Haus ein. Besonders in den Personen beider Töchter von Esther und ihrem Mann Poul lässt Silent Heart Lebensentwürfe aufeinander prallen. Leider scheinen diese gegensätzlichen Charaktere sehr nach Schema F konzipiert wurden zu sein. Zwangsweise prallen komplette Kontrapunkte aufeinander, wenn die Karrierefrau und Bilderbuchmutter auf die promiskuitive Tablettenabhängige stößt. Da die Konflikte des Films allgemein bereits recht früh offengelegt werden und sich erst äußerst spät entladen, kann die erste Stunde der 98 Minuten Laufzeit nur bedingt begeistern. Der klischeehaften Familienkonstellation setzen eiskalte, weißgehaltene Bilder, ein geheimnisvoller, zurückgenommener Score und vor allem der hervorragende Cast einige Pluspunkte entgegen. Besonders die Vertreter der ältesten Generation werden hier perfekt porträtiert. Die dänische Leinwandikone Ghita Nørby und Kultschauspieler Morten Grunwald (Benni aus den Olsenbande-Filmen) führen mit viel Wärme und Erfahrung, die ihre Figuren stets umgeben, ein tolles Ensemble an, aus dem der Eine oder Andere noch Pilou Asbæk (Lucy, Schändung, Borgen-Gefährliche Seilschaften) kennen könnte. Die Melancholie, die Silent Heart des Öfteren umgibt, erscheint so nie aufgesetzt, dazu wird auch die Thematik der Euthanasie nicht hetzerisch abgehandelt. Das Miteinander der Generationen gefällt somit überraschend gut. Wenn sich Silent Heart seiner minimalistischen Anlage folgend, auf seine Kernaussage und die tollen Schauspieler verlassen hätte, wäre hier ein bemerkenswerter Film entstanden. Doch ein schwaches Drehbuch voller Deus-Ex-Machina-Momente lassen ihn im Mittelfeld des europäischen Arthousekinos landen. 

6/10

Für Fans von: Amour, Million Dollar Baby

Sie sind keine Schande




Eddie the Eagle

Die Olympischen Winterspiele 1988 in Calgary brachten viele Helden und Legenden hervor. Katharina Witt wurde zur dominierenden Eiskunstläuferin ihrer Generation, das jamaikanische Viererbob-Team sorgte für Aufmerksamkeit (ebenfalls verfilmt in Cool Runnings aus 1993) und der „Fliegende Finne“ Matti Nykänen gewann sämtliche Skisprungwettkämpfe. In eben dieser Sportart fand sich aber unter den Olympioniken die wohl außergewöhnlichste und schillerndste Persönlichkeit, die Winterspiele jemals an die Oberfläche brachten. Michael Edwards, genannt Eddie, konnte sich als erster Brite seit 1924 für die Skisprung-Wettbewerbe qualifizieren. Seine ergreifende Lebensgeschichte, die der gelernte Maurer stets mit dem Ziel formulierte Olympionike zu werden, erzählt nun Eddie the Eagle. Edwards war schon wegen seiner körperlichen Erscheinung nur bedingt zum Sportler geboren. Er kämpfte in seiner Jugend mit extremer Weitsichtigkeit, Übergewicht und kaputten Knien. So wurde sein unbeholfenes Auftreten ebenfalls zum Markenzeichen. Mit Taron Egerton fand man schließlich einen Hauptdarsteller, der trotz scheinbar entgegengesetzter Körperlichkeit einen großartigen Michael Edwards abgibt. Jede typische Bewegung und seltsame Mimik sitzt, der sportlich gebaute Kingsman-Darsteller ist kaum wiederzuerkennen und verschwindet komplett hinter seiner Filmfigur. In der zweiten Hauptrolle kann Hugh Jackman als Eddies Trainer Peary Bronson überzeugen. Der Australier gibt mit all seiner Routine und Starpower zusammen mit Egerton ein hervorragendes Gespann ab. Die meisten weiteren Figuren hingegen kranken leider an einem sehr durchschnittlichen Skript. Sowohl Edwards Eltern, als auch die konkurrierenden Skispringer, die Eddie für eine Beleidigung ihres Sports halten, sind ähnlich den britischen Olympia-Verantwortlichen sehr klischeebehaftet und eindimensional gezeichnet wurden. Eddie the Eagle schmückt sich als klassisches Bio-Pic natürlich mit dem Siegel 'based on a true story'. Doch die Filmemacher (unter anderem mit Kingsman-Regisseur Matthew Vaughn als ausführendem Produzenten) rund um den Briten Dexter Fletcher nehmen sich doch einige künstlerische Freiheiten, um das Geschehen auf der Leinwand zu dramatisieren. Vor allem Hugh Jackmans Figur und dessen Hintergrundgeschichte, die dramaturgisch einen hohen Stellenwert im Film einnimmt, sind frei erfunden. Auch die resolute Herbergsmutter Petra kann nur dem Gehirn eines Drehbuchschreibers entsprungen sein. Immerhin bieten diese beiden Beispiele Möglichkeiten für nette Cast-Aufwertungen. So konnte das Studio Babelsberg, das gleichzeitig als Produktionsfirma, sowie als Drehort für Eddie the Eagle fungierte, Iris Berben mit der größten weiblichen Rolle besetzen, während Christopher Walken einen Cameo-Auftritt in der Nebenstory um Peary Bronson hat. Dazu darf auch die englische Schauspiellegende Jim Broadbent noch einen Gastauftritt absolvieren. Das größte Plus von Eddie the Eagle ist jedoch zweifellos die Stimmung, die dieser Film verbreitet. Nie wurde der olympische Gedanke wirksamer auf Zelluloid gebannt, selten wurde der Begriff des Feel-Good-Movies so sehr mit Wahrhaftigkeit gefüllt. Denn auch wenn man am Ende der 105 Minuten Laufzeit weiß, dass Eddie the Eagle Potential für einen wirklich außerordentlich großartigen Film gehabt hätte, so fühlt man sich ob der Lebensgeschichte von Michael Edwards einfach nur gut. 

7/10

Für Fans von: Cool Runnings, Billy Elliot – I will Dance, Rocky