Dienstag, 31. Mai 2016

Lieber tot als Sklave



Schrotten!

Genrefilme aus Deutschland sind ja ohnehin selten genug. Der (traurigerweise beliebten) Dutzendware aus Betroffenheitskino und Genderklamotte etwas entgegenzusetzen, ist einem jeden Filmemacher somit schon einmal prinzipiell hoch anzurechnen. Schrotten! mangelt es dann auch nicht an Ambition und Engagement, dennoch kommt der erste Langfilm des Hannoveraners Max Zähle nicht über das Mittelmaß hinaus. Bereits an der Story lässt sich da einiges festmachen. Zwei entfremdete Brüder finden durch die Beerdigung ihres Vaters nach vielen Jahren und unterschiedlichen Lebensentwürfen wieder zusammen und schmieden gemeinsame Pläne um das Familienunternehmen zu retten. Schrotten! ist, wie der Name verlauten lässt unter klassischen Schrotthändlern angelegt. In puncto Lokalkolorit, Verschrobenheit und Milieustudie liegen dann auch die größten Stärken des Films. Die niedersächsische Einöde ist toll fotografiert wurden, die langen Recherchen der Filmcrew machen sich in der guten Chemie der eingeschworenen Schrotties deutlich bemerkt. Mit Lukas Gregorowicz und Frederick Lau hat Schrotten! dazu zwei Hauptdarsteller an Bord, die nach ihrem schauspielerischen Talent zu urteilen, über jeden Zweifel erhaben sind. Jedoch selbst ein Frederick Lau kann aus einem laufenden Klischee keine Paraderolle mehr machen. Sein raubeiniger und etwas einfältiger Bruder Letscho Talhammer ist der Inbegriff des gutmütigen, aber äußerlich harten Vorarbeiters. Um einen möglichst großen (und langweiligen) Bruderkampf zu kreieren, kleideten Zähle und seine Autoren Lukas Gregorowicz als Mirko Talhammer mit Anzügen ein und ließen ihn Versicherungen verkaufen. Alle sonstigen Figuren wurden vergleichbar platt und pathetisch entworfen. Die Dramaturgie und Grundstimmung des Films sind dann dem klassischen Western entnommen. Doch auch hier übertreibt es Schrotten! gern einmal. Die Talhammers wären im 19. Jahrhundert wohl Cowboys gewesen, ihre Rinderherde hätte vor dem Verkauf gestanden, ein bösartiger Viehbaron hätte es auf Grund und Boden abgesehen und der Eisenbahnraub, nun ja, der findet in Schrotten! tatsächlich statt. Dazu gibt es launige Countrymusik, einen Showdown auf dem Markt einer Kleinstadt und einen finalen Shot über eine lange Straße in den Sonnenuntergang. Trotz all der aufgefahrenen Vorhersehbarkeit ist Schrotten! über seine 102 Minuten Laufzeit ein ganz vergnüglicher Film geworden. Einem gut aufgelegten Cast und dem kauzigen Schrotthändlermillieu zu folgen, entschädigt hier für ein schwaches Drehbuch. Jedoch kann nur wirklich überrascht werden, wer in seinem Leben weder einen Räuberpistole noch einen Western sah. 

6/10

Für Fans von: Knockin' on Heavens Door

Donnerstag, 26. Mai 2016

Chullachaqui








Der Schamane und die Schlange

Karamakate ist ein beeindruckender Mann. Sein Größe, sein muskulöser Körper und sein fester Blick lassen ihn zur Verkörperung der Beständigkeit werden. Doch genau diese sieht er im Verlust begriffen. Und damit liegt er richtig. Karamatake ist der letzte Überlebende eines indigenen Stammes aus dem kolumbianischen Dschungel. Anhand zweier Begegnungen mit westlichen Wissenschaftlern dokumentiert Regisseur Ciro Guerra in Der Schamane und die Schlange den Niedergang der Naturvölker Amazoniens durch Kolonialisierung und Missionierung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1909 trifft Karamatake auf den deutschen Ethnologen Theo (nach dem realen Vorbild Theodor Koch- Grünberg), 1940 auf den amerikanischen Biologen Evan (nach Richard Evans Schultes). Beide Wissenschaftler fragen um Hilfe bei der Suche nach der sagenumwobenen Yakruna- Pflanze, die heilende Kräfte besitzen soll. Wie die Nebenarme des Amazonas, auf denen Der Schamane und die Schlange hauptsächlich spielt, kreuzen und entfernen sich die Handlungsstränge des Films und hinterlassen letztendlich doch ein beeindruckendes Bild. Es ist die Gier nach Cocablättern, nach Chinarinde und vor allem nach Kautschuk, den Reichtümern des Urwaldes, die Tod und Untergang über die indigenen Völker brachte. Theo und Evan geraten als stille Beobachter immer wieder in die Missgunst Karamatakes, der die Weißen berechtigterweise für die Auslöschung seines Volkes verantwortlich macht, aber andererseits genau weiß, dass die Berichte dieser Männer die einzige Chance für das kulturelle Überleben seiner mystischen Lebensweise darstellen. Gerade durch die fehlende geradlinige Dramaturgie und den psychedelischen Charakter des Films geraten die Einfälle der realen, politischen Absichten der Expansion durch die kolumbianische Zentralregierung und die katholische Kirche besonders eindrücklich und niederschmetternd. Die zwar offensichtliche aber niemals platte Grundaussage des Streifens wirkt im Kontrast zur nüchternen Erzählung somit regelrecht schockierend auf den Zuschauer. Der Schamane und die Schlange ist darüber hinaus ein bildgewaltiger Abenteuerfilm geworden. In epischen und gestochen scharfen schwarz-weiß Bildern nimmt uns Ciro Guerra mit auf eine Reise durch eine scheinbare Parallelwelt, die in den letzten 100 Jahren fast gänzlich ausgelöscht wurde. Die transzendentale Musik und die neun (!) im Film gesprochenen Sprachen sorgen für zusätzliche Authentizität. Der Schamane und die Schlange ist ein künstlerischer, aber eindringlicher Film für alle, die fernab des Mainstreams gern über den Tellerrand hinaus schauen und in wirkungsvollen 125 Minuten nachempfinden wollen, warum dieser der erste jemals für einen Oscar nominierte, kolumbianische Film wurde. 

8/10

Für Fans von: Aguirre – Der Zorn Gottes, Apocalypse Now, Die Vermessung der Welt

Dienstag, 17. Mai 2016

Keine höhere Mathematik



Die Poesie des Unendlichen

Srinivasa Ramanujan gilt als einer der einflussreichsten Mathematiker des 20. Jahrhunderts. Seine indische Herkunft, seine tiefe Religiosität und seine unkonventionelle Heransgehensweise an wissenschaftliche Probleme machten ihn zu einem bewunderten Fremdkörper im elitären britischen Mathematikerumfeld während der Zeit des ersten Weltkrieges. In seinem kurzen Leben stellte Ramanujan zahlreiche Formeln, Gleichungen, Konstanten und Funktionen auf, an denen auf der einen Seite bis zum heutigen Tage geforscht wird, die aber auf der anderen Seite beispielsweise Grundlagen für die moderne Astrophysik sind. Das ungewöhnliche Dasein des Zahlentheoretikers aus einfachsten Verhältnissen stellt nun Regisseur Matthew Brown in seinem erst zweiten Film überhaupt dar. Zentrales Element von Die Poesie des Unendlichen ist die Beziehung Ramanuans mit seinem Mentor und Lehrmeister G.H.Hardy. Das indische Ausnahmetalent wird von klassisch-britischen Professor an das altehrwürdige Trinity-College in Cambridge geholt, um seine autodidaktisch erworbenen Fähigkeiten dem internationalen Wissenschaftsstandart anzupassen. Ähnlich dünn, wie diese Handlungsbeschreibung fällt das Drehbuch des Streifens dann auch im Ganzen aus. Einem so außergewöhnlichen Genie wie Ramanujan hätte ein außergewöhnlicherer Film auch gut zu Gesicht gestanden. Das Bio-Pic arbeitet sich dann allerdings allzu brav durch den Lebensweg des Mathematikers. Ein beachtlicher Teil der Handlung entfällt dabei auf die schwierige Beziehung Ramanujans zu seiner Mutter und seiner Frau, die er in Indien zurückließ. Der Zuschauer, der vom etwas überhasteten Beginn des Films auf ein Wissenschaftsdrama vorbereitet wurde, stößt im arg sentimentalen zweiten Akt dann auch schnell auf viel inhaltlichen Leerlauf. Der große Konflikt der Story um das grundlegende mathematische Problem der Beweisbarkeit von Theorien kommt erst sehr spät auf, sodass man sich vor allem von der zu dick aufgetragenen Emotionalität der kulturellen Unterschiede und der arg plakativ gestalteten Liebesthematik gestört fühlen wird. Ein beachtliches Plus kann Die Poesie des Unendlichen dank seiner Schauspielern für sich verbuchen. Mit Dev Patel und Jeremy Irons sind die Hauptrollen äußerst passend besetzt, vor allem der Engländer kann als Mittler zwischen klassischer und moderner Auslegung der Mathematik überzeugen. Seiner Figur kommt auch die detaillierteste Charakterentwicklung zugute. Der restliche Cast um Toby Jones (Captain-America 1&2, Harry Potter-Franchise) und Stephen Fry (Der Hobbit 2&3, V wie Vendetta) liefert Dienst nach Vorschrift ab, kann aber dennoch, wie die Hauptdarsteller auch, mit Herz und Spielfreude ein positives Gefühl vermitteln. Das dürftige Skript, das die großen Themen aus dem Leben Ramanujans, das Fremd sein in Bezug auf Herkunft und Intellekt sowie die Vereinbarkeit von Kunst, Glaube und Mathematik nur oberflächlich anreißt, wird dem allerdings in 114 Minuten ohne jegliche Spannungskurve nicht gerecht. 

5/10

Für Fans von: Die Entdeckung der Unendlichkeit, Forrester – Gefunden


Isländische Eröffnung



Bauernopfer

Dramen über Zeitgeschichte und Bio-Pics kommen ohne außergewöhnliche Inszenierung oder eine riesige Marketingkampagne selten über mittelmäßige Erfolge hinaus. Wenn, wie im vorliegenden Fall beide Genres kombiniert werden, wundert es kaum, dass Bauernopfer schon im Spätsommer 2014 seine Weltpremiere feierte und nun erst seinen Weg über den Atlantik in die deutschen Kinos fand. Sein bescheidener Erfolg unterstützt diese Handhabung des Verleihs leider zusätzlich, was äußerst traurig ist. Denn obgleich Edward Zwick in seiner Geschichte des Ausnahme-Profis Bobby Fischer keine Wunder wirkt, ist Bauernopfer doch dank seiner hervorragenden Schauspieler und seines vereinnahmenden Stils ziemlich unterhaltsam gelungen. Der Streifen zeichnet das Leben des New York Schachspielers bis zu seinem sagenumwobenen Weltmeisterschaftsmatch gegen den russischen Großmeister Boris Spasski in Reykjavik 1972 nach. Da sich Fischer als Propagandafigur im auf (glücklicherweise nur fast) allen Ebenen ausgefochtenen kalten Krieges zwischen der USA und der Sowjetunion wiederfand und zusätzlich ein von Psychosen und Paranoia zerfressenes Genie war, kann sich der geneigte Zuschauer dankend an Tobey Maguire wenden, der Fischers nur schwer zu fassende Persönlichkeit spektakulär auf die Leinwand bringt. Der Spider Man-Star lässt eine große Tour de Force vom Stapel und schafft es trotz der teils unfassbaren Charakterzüge seiner Figur die Sympathien auf dessen Seite zu ziehen. Neben Maguire überzeugt Liev Schreiber als Serienweltmeister Boris Spasski mit viel feiner Ironie und überzeugendem Russisch über die gesamten 115 Minuten Laufzeit. Michael Stuhlbarg und Peter Saarsgard vervollständigen den hochkarätigen Cast als Fischers angenehm undurchsichtige Berater. Doch abseits des durchweg überzeugenden Schauspiels beginnt mit diesen Figuren das zentrale Problem von Bauernopfer. Das Drehbuch des Films geriet in deutlich zu viele Hände, ehe die eigentlichen Dreharbeiten begannen. Bauernopfer zaubert ohne Unterlass neue Nebenfiguren aus dem Hut, ohne diese adäquat in die Geschichte einzubetten. Einzelne Handlungsstränge aus den ersten zehn Minuten des Streifens, der sich mit Fischers Kindheit auseinander setzt, werden beispielsweise nahezu eineinhalb Stunden unbeachtet aus den Köpfen der Kinobesucher gestrichen, um im großen Finale (das Match zwischen Fischer und Spasski ist trotz allem eine fantastisch inszenierte und hoch spannende Angelegenheit) wieder relevant zu werden. Alles in allem wirkt Bauernopfer so verhältnismäßig unstet und hinterlässt den faden Beigeschmack einer zum Film eingedampften Mini-Serie. Dass Bauernopfer dann doch mehr als nur ein mittelmäßiger Film wurde, ist neben den tadellosen Akteuren vor der Kamera einem authentischen Sixties-Feeling und der tollen Fotografie von Selma- und A most violent year-Kameramann Bradford Young zu verdanken. Fischers undurchsichtiger Charakter, die ideologische Entsprechung des Krieges auf dem Schachbrett und die allgegenwärtige Propagandaschlacht, zu der das große Duell schließlich verkam, werden gern in stimmigen Parallelmontagen mit flimmernden Bildern und überzeugendem Sounddesign inszeniert. Dank dieser Sachen ist es letztendlich noch etwas schade, dass Edward Zwick einer beeindruckenden Filmografie (Glory, Der letzte Samurai, Blood Diamond) durch ein teils recht konventionelles und teils völlig konfusen Drehbuchs nur einen guten Film hinzufügen kann. 

7/10

Für Fans von: Apollo 13, Love & Mercy

Und täglich grüßt das Nachbartier



Bad Neighbors 2

Fortsetzungen richten sich natürlich an erster Stelle an die Fans des ursprünglichen Filmes. Ohne diese kann gar nicht in Betracht gezogen werden neue Zuschauer ins Kino zu locken. Die bewährte Hollywood-Formel lautet dabei bekanntermaßen lauter, schneller, weiter, doch um alle bei der Stange zu halten müssen gleiche oder ähnliche Versatzstücke erneut zueinander finden. Verändertes Personal trägt nur selten zu finanziellem Erfolg bei (Transformers 4 ist da eine der seltenen, wenn auch unverdienten Ausnahmen), sorgt oftmals aber für gerümpfte Nasen (Indiana Jones 4). Nicholas Stoller und sein Team gehen nun den bequemsten und damit auch fantasielosesten Weg eine Fortsetzung zu drehen. Bad Neighbors 2 (im Original Neighbors 2: Sorority Rising) ist der gleiche Film wie sein direkter Vorgänger, bietet die gleichen Gags und schickt das gleiche Personal in die gleichen Situationen. Da Bad Neighbors an sich kein schlechter Film war, ist dies Bad Neighbors 2 nun auch nicht. Doch bedingt durch diese abnorme Risikolosigkeit wird auch niemand den Kinosaal jubelnd verlassen. Anstelle der männlichen Studentenverbindung aus Teil 1 stürzt sich das Ehepaar Radner (Seth Rogen und Rose Byrne) nun in einen nachbarschaftlichen Generationskonflikt mit einer Schwesternschaft. Kelly Radner erwartet ihr zweites Kind, Zac Efron zieht sein Shirt aus und tanzt, es explodieren wieder Airbags. Wiederholung in jeder Hinsicht beschreibt Bad Neighbors 2 in jeder Hinsicht am besten. Worauf sich die geneigten Zuschauer jedenfalls wieder verlassen können ist ein gut gelaunter Cast und ein ordentliches Timing für Gags. Chloë Grace Moretz darf als einzig nennenswerter Neuzugang natürlich und unverbraucht das Publikum auf seine Seite ziehen, Seth Rogen tut, was er am besten kann – sich selbst spielen und Zac Efron macht neben einer guten Figur zumindest nichts falsch. Die Witze zünden zu Beginn des Films häufig, durch die ausschließliche Nutzung von Running-Gags, fällt die Pointendichte allerdings im Verlauf des Films ab. Bei einer erfrischend kurzen Laufzeit von 92 Minuten fällt dies jedoch nicht sonderlich ins Gewicht. Bad Neighbors 2 ist trotz mancher Fäkalhumoreinlage niemals anstößig, abseitig oder politisch unkorrekt (auch wenn er dies gern sein würde), sondern behält sein Herz am richtigen Fleck und das Publikum somit konsequent auf Abstand. Einem Film, der wirklich ohne jegliche Story daherkommt, möchte ich mangelnde Bereitschaft zur Reflexion aber nicht vorwerfen. Sympathisch, lustig, aber völlig belanglos und eigentlich überflüssig – Bad Neighbors 2 ist die filmgewordene Mittelmäßigkeit des Fortsetzungswahns. 

5/10

Für Fans von: Bad Neighbors, Party Animals

Sonntag, 8. Mai 2016

Resteauflauf







Triple 9

Jahr für Jahr stolpern aus unerfindlichen Gründen Filme aus den Kinos, die es irgendwie geschafft haben einen riesigen Cast voller großer Namen vor die Kamera zu ziehen und dennoch fürchterlich Scheitern. Manchmal sorgt ein nur kleines Release für schlechte Einspielergebnisse, manchmal sind der Zeitpunkt der Veröffentlichung oder die PR-Arbeit unvorteilhaft und manchmal ist der Film trotz absoluter Topstars einfach nur miserabel. So wie im Falle von Triple 9. Was auf dem Papier nach einem soliden und spannenden Cop- Thriller klingt, verwursten der australische The Road-Regisseur John Hillcoat und sein Team zu einer zerfahrenen, unglaubwürdigen und unfreiwillig komischen Geschichte ohne Sinn und Verstand. Der aus bekannten Versatzstücken zusammengeschusterte Plot um kriminelle Polizisten und einflussreiche Mafiabanden könnte dem alten Credo 'besser gut geklaut als schlecht selbst gemacht' ja theoretisch noch entsprechen, doch die Lieblosigkeit mit der Figuren und Skript in Triple 9 behandelt werden, lässt die offensichtlichen Genre-Vorbilder wie Training Day oder Cop Land in unerreichbare Ferne schwinden. Ein zentrales Problem in der Entwicklung von Spannung in Triple 9 , geht mit dem Fehlen einer zentralen Hauptfigur einher. In der Storyline scheint Casey Afflecks junger Polizist das Verbindungsglied von Film und Publikum zu sein, jedoch bekommt Anthony Mackies Figur zusehends mehr Screentime zugesprochen, komplette Handlungsstränge, die im zweiten Akt die Haupthandlung zusätzlich komplett ad absurdum führen, widmen sich außerdem den von Clifton Collins jr. und Aaron Paul (der komplett verschenkt ist) gespielten Charakteren. Um wen soll ich mich als Kinofreund jetzt sorgen? Mit wem mitfühlen? Bis zum Ende gibt der Film dem Zuschauer keinerlei Zugang zum Geschehen. Zusätzlich wirkt Triple 9 durch seine zahlreichen Klischees entfremdend. Egal ob abgefuckte Cops, aufgesetzte Gangstersprache oder die skrupellose Patin mit uninspiriertem, osteuropäischem Akzent - hier wird nichts ausgelassen. Auch inhaltlich wird mit dem 'dies ist mein letzter Job sonst sterbe ich'-Trick für Gähnen im Kinosaal gesorgt sein. Zahlreiche Deus Ex Machina-Momente unterstreichen diesem realitätsfremden Anstrich noch zusätzlich. Das einleitend erwähnte Staraufgebot übermittelt in Triple 9 am ehesten den Eindruck, in wenigen Drehtagen einen brauchbaren Gehaltsscheck einfahren zu wollen. Der Oscarnominierte 12 Years a Slave-Akteur Chiwetel Ejiofor, Grand Dame Kate Winslet oder Kultschauspieler Woody Harrelson leisten, freundlich gesprochen, Dienst nach Vorschrift, besonders Harrelson nervt aber mit völlig deplatziertem Overacting. An die israelische Fast & Furious-Amazone und aktuelle Wonder Woman Gal Gadot, Point Break Star-Teresa Palmer und Boardwalk Empire-Antagonist Michael K. Williams wird sich nach den aufgeblähtem 115 Minuten Laufzeit von Triple 9 auch kaum noch jemand erinnern. Doch verwunderlicherweise konnte John Hillcoat auch im technischen Stab einen echten Star für sich gewinnen. Oscargewinner und Trent Raznor- Kumpane Atticus Ross schüttet seine typisch donnernden Industrialbeats über das konfuse Geschehen. Gegen Ende des Films scheint es, als habe Triple 9 eine Erleuchtung gehabt, wenn er versucht Moral in einer amoralischen Welt zu thematisieren. Doch solch plakative Versuche, die vorherige Handlung zu legitimieren wird der Zuschauer mitsamt dieses lächerlichen und unnötigen Films ignorieren. 

3/10

Dienstag, 3. Mai 2016

Wuchernde Wüstenpflanzen




Ein Hologramm für den König

Nach eigener Aussage könnte sich Tom Hanks vorstellen, in Berlin eine zweite Heimat sein Eigen zu nennen. In den letzten vier Jahren sorgte der Ausnahmeschauspieler mit den Dreharbeiten zu Cloud Atlas, Bridge of Spies und jetzt Ein Hologramm für den König für viel mediale Aufmerksamkeit, die den zur Zeit ohnehin so populären Filmstandort Deutschland weiter in den Fokus vieler internationaler Filmemacher rückte. Doch wer nun erwartet, dass die hier vorliegende Culture-Clash-Komödie einzig und allein eine Huldigung des zweifachen Oscargewinners ist, liegt glücklicherweise falsch. Denn trotz der Tatsache, dass Ein Hologramm für den König den Schwerpunkt auf Hanks Figur legt, verdanken wir den diesen unterhaltsamen und gleichzeitig sehr erwachsenen Film zum Großteil der leichtfüßigen Arbeit von Regielegende Tom Tykwer. Ein Hologramm für den König folgt dem alternden und erfolglosen Verkäufer Alan Clay, der sich an seinen perspektivisch letzten Strohhalm klammert: Den Verkauf eines neuartigen IT-Kommunikationssystems an die Königsfamilie in Saudi-Arabien. Tykwer taucht in seiner zweiten Arbeit mit Hauptdarsteller Tom Hanks tief in die schizophrene kulturelle Welt des Nahen Ostens ein. Mit traumhaft schönen Bildern von Stammkameramann Frank Griebe erforscht er zugleich Rückständigkeit der Gesellschaft in Bezug auf die Staatsreligion und zugleich den unerschütterlichen Fortschrittsglauben in der hochtechnisierten Welt des Wüstenstaates. Die ohnehin schon recht minimalistische Handlung des Streifens, die sich im Verlauf der 98 Minuten Laufzeit hauptsächlich auf das Warten auf den saudischen König beschränkt, wird somit schnell zur Nebensache. Die Reise des glücklosen Clays hin zu neuen Horizonten und zu innerer Einkehr ist das eigentlich bestimmende Thema des Films. Glücklicherweise entschied sich Tykwer keinen spezifisch politischen Film zu drehen, sondern lässt Konflikte auf rein kultureller und menschlicher Ebene ablaufen. Dies entspricht der einfühlsam- gelösten Stimmung des Films besonders, zumal das Drehbuch, nach der weltweit erfolgreichen Romanvorlage von Dave Eggers, äußerst humorvoll und unberechenbar und die Charakterisierung Clays stets puzzleartig und ebenso überraschend gelang. Damit bleibt eine gewisse Grundspannung gewahrt, die den Zuschauer bei der Sache hält. So sucht Ein Hologramm für den König Antworten auf die universelle Suche nach dem Glück, ist zugleich Schelmenstück und aufklärerischer Kulturfilm, Liebesgeschichte und stille Meditation über die relevanten Dinge im Leben. Dank toller Nebendarsteller und der großartigen Arbeit der Set-Designer und Soundleute, die die thematisierten Kontraste des Streifens präzise audiovisuell umsetzen, ist Ein Hologramm für einen König als Film ebenso vielfältig genießbar, wie seine Message richtig ist.  

8/10

Für Fans von: Ein Sommer in der Provence, Madame Mallory und der Duft von Curry