American
Honey
Ein
Gesellschaftsporträt voller Laiendarsteller mit einer Laufzeit von
über zweieinhalb Stunden klingt auf dem Papier nach einer zähen
Angelegenheit. Und American Honey wird auch viele Kinobesucher nicht
für sich vereinnahmen können. Zu sperrig, zu ziellos, zu
dramaturgisch andersartig. Doch die Faszination dieses fiebrigen und
unkonventionellen Streifens entsteht eben nicht durch durch eine
handelsübliche Storyline und dialoglastige Konfrontationen von
Schauspielstars, sondern durch eine beeindruckende Bildsprache, einen
vielseitigen Soundtrack und die nahezu perfekte Manifestation eines
ungewissen Lebensgefühls amerikanischer Jugendlicher. Im Zentrum
der Geschichte steht die 18jährige Star. Weit unterhalb der
Armutsgrenze zieht sie als Ersatzmutter ihre kleinen Geschwister
groß. Doch die Sehnsucht nach der großen Freiheit bricht sich in
Star bahn und so schließt sie sich einer Drückerkolonne an, die
unter Führung der resoluten Krystal auf einem nie enden wollenden
Roadtrip durch die Vereinigten Staaten Zeitschriftenabonnements
verkauft. Die britische Regisseurin Andrea Arnold konnte für
American Honey den Großen Preis der Jury bei den diesjährigen
Filmfestspielen von Cannes entgegennehmen. Solch eine Belobigung war
nicht unbedingt zu erwarten. Dies zeigt sich beispielsweise am
Casting der Hauptdarstellerin Sasha Lane, die den Filmemachern erst
kurz vor Drehbeginn auf dem Spring Break in Florida ins Auge stach.
Dazu tummeln sich mit Shia LaBeouf Herz aus Stahl, Nymphomaniac,
Disturbia) und Riley Keough (Mad Max: Fury Road, Magic Mike) auch
nur zwei international bekannte Gesichter vor der Kamera. Doch genau
diese Kamera sorgt mit ihren grobkörnigen Aufnahmen für einen
beachtlichen Teil der Anziehungskraft American Honeys. Das Gezeigte
ist selten schön. Von Minute 1 bis 163 führt uns der Film durch
die verschiedensten sozialen Schichten und Lebensumstände der USA.
Durch die im positiven Sinne unangenehme Kameraführung gelingt der
Blick in die Verhältnisse von drogenabhängigen Großfamilien,
radikalen Sektenanhängern oder einsamen Superreichen zusätzlich
intensiv. Die somit fast dokumentarische Inszenierung lässt jede
Distanz von Zuschauer und Geschehen entfallen. Die drogeninduzierte
Wahnvorstellung des amerikanischen Traums, der sich Star und deren
Mitstreiter hingeben, hüllt Regisseurin Arnold dazu immer wieder in
mannigfaltige Musik. Rap, Country und die großen Pophymnen unserer
Zeit bieten den Protagonisten Möglichkeiten zur Realitätsflucht,
denen sich diese auch wiederholt hingeben. In Verbindung mit einem
tragischen und teils herzzerreißenden Schauspiel entsteht so ein
zwar selbstzerstörerisches, aber immer wieder wunderschönes Abbild
einiger von der Gesellschaft Vergessener. Kleine Dinge, die den
Figuren und Zuschauern am Wegesrand des Filmes begegnen sind hier
von größerer Bedeutung, als eine stringente Handlung. Und dennoch
vermag sich American Honey mit enorm intensiven Szenen und einer
stets mitschwingenden Spannung, die aus dem leidenschaftlichen
Miteinander der Charaktere entsteht, tief im Gedächtnis von
Filmfreunden einzubrennen.
8/10
Für
Fans von: Almost Famous, Broken Flowers
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen