Freitag, 14. Oktober 2016

We found love in a hopeless place





American Honey

Ein Gesellschaftsporträt voller Laiendarsteller mit einer Laufzeit von über zweieinhalb Stunden klingt auf dem Papier nach einer zähen Angelegenheit. Und American Honey wird auch viele Kinobesucher nicht für sich vereinnahmen können. Zu sperrig, zu ziellos, zu dramaturgisch andersartig. Doch die Faszination dieses fiebrigen und unkonventionellen Streifens entsteht eben nicht durch durch eine handelsübliche Storyline und dialoglastige Konfrontationen von Schauspielstars, sondern durch eine beeindruckende Bildsprache, einen vielseitigen Soundtrack und die nahezu perfekte Manifestation eines ungewissen Lebensgefühls amerikanischer Jugendlicher. Im Zentrum der Geschichte steht die 18jährige Star. Weit unterhalb der Armutsgrenze zieht sie als Ersatzmutter ihre kleinen Geschwister groß. Doch die Sehnsucht nach der großen Freiheit bricht sich in Star bahn und so schließt sie sich einer Drückerkolonne an, die unter Führung der resoluten Krystal auf einem nie enden wollenden Roadtrip durch die Vereinigten Staaten Zeitschriftenabonnements verkauft. Die britische Regisseurin Andrea Arnold konnte für American Honey den Großen Preis der Jury bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes entgegennehmen. Solch eine Belobigung war nicht unbedingt zu erwarten. Dies zeigt sich beispielsweise am Casting der Hauptdarstellerin Sasha Lane, die den Filmemachern erst kurz vor Drehbeginn auf dem Spring Break in Florida ins Auge stach. Dazu tummeln sich mit Shia LaBeouf Herz aus Stahl, Nymphomaniac, Disturbia) und Riley Keough (Mad Max: Fury Road, Magic Mike) auch nur zwei international bekannte Gesichter vor der Kamera. Doch genau diese Kamera sorgt mit ihren grobkörnigen Aufnahmen für einen beachtlichen Teil der Anziehungskraft American Honeys. Das Gezeigte ist selten schön. Von Minute 1 bis 163 führt uns der Film durch die verschiedensten sozialen Schichten und Lebensumstände der USA. Durch die im positiven Sinne unangenehme Kameraführung gelingt der Blick in die Verhältnisse von drogenabhängigen Großfamilien, radikalen Sektenanhängern oder einsamen Superreichen zusätzlich intensiv. Die somit fast dokumentarische Inszenierung lässt jede Distanz von Zuschauer und Geschehen entfallen. Die drogeninduzierte Wahnvorstellung des amerikanischen Traums, der sich Star und deren Mitstreiter hingeben, hüllt Regisseurin Arnold dazu immer wieder in mannigfaltige Musik. Rap, Country und die großen Pophymnen unserer Zeit bieten den Protagonisten Möglichkeiten zur Realitätsflucht, denen sich diese auch wiederholt hingeben. In Verbindung mit einem tragischen und teils herzzerreißenden Schauspiel entsteht so ein zwar selbstzerstörerisches, aber immer wieder wunderschönes Abbild einiger von der Gesellschaft Vergessener. Kleine Dinge, die den Figuren und Zuschauern am Wegesrand des Filmes begegnen sind hier von größerer Bedeutung, als eine stringente Handlung. Und dennoch vermag sich American Honey mit enorm intensiven Szenen und einer stets mitschwingenden Spannung, die aus dem leidenschaftlichen Miteinander der Charaktere entsteht, tief im Gedächtnis von Filmfreunden einzubrennen. 

8/10

Für Fans von: Almost Famous, Broken Flowers

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