Dienstag, 31. Januar 2017

Alles extra dick




Mein Blind Date mit dem Leben

Zwei Dinge sind mir seit der Sichtung von Mein Blind Date mit dem Leben besonders negativ im Gedächtnis geblieben, zwei Dinge, die man sonst eher aus amerikanischen Filmen kennt. Zum einen haben es die Produzenten der Komödie geschafft, einen völlig belanglosen und zugleich störenden Halbsatz als Filmtitel zu wählen. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Name Mein Blind Date mit dem Leben an sich irgendwo Interesse an der, in groben Zügen wahren, Geschichte des Saliya Kahawatte hervorrufen könnte. Womit wir direkt beim zweiten großen Problem wären. Der Vater des Protagonisten stammt aus Sri Lanka, Bilder des realen Saliya Kahawatte werden in den Credits eingeblendet. Kostja Ullmann wird dem südasiatischen Äußeren seiner Figur zu keiner Zeit gerecht. Unabhängig von schauspielerischen Leistungen ist dieser Film ein erschreckendes Beispiel für Whitewashing. Doch ganz von vorne. Saliya hat einen großen Traum: Der schüchterne Teenager möchte aus der bayrischen Provinz ausbrechen und in einem Luxushotel arbeiten. Seine fast vollständige Blindheit steht ihm dabei allerdings ständig im Wege. Also verheimlicht er diese und gelangt so an einen Ausbildungsplatz. Mein Blind Date mit dem Leben verlässt im Folgenden niemals eingefahrene Gewässer. Die Story ist einfach, glattgebügelt und vorhersehbar erzählt. Ein Beispiel dafür: Salyia wird von den Drehbuchautoren eine Drogensucht anerkannt, die dramaturgisch ins Bild passt, jedoch schnell wieder aus dem Blickfeld verschwindet und so nur als kurzfristige Stressbewältigung inszeniert wird. Dass der wirkliche Saliya mehrere gescheiterte Suizide überlebte, verschweigt solch ein banales Feel-Good-Movie lieber. Weiterhin hat man in vielen Passagen der 111 Minuten Laufzeit den Eindruck, einen Musikfilm zu sehen. Ich kann nicht ansatzweise sagen, wie viele schmalzige Pop- und Folksongs klischeehafte Montageszenen untermalen. 50 scheint mir allerdings nicht zu hoch gegriffen. Saliyas Romanze mit einer Gemüselieferantin bleibt dabei komplett uninteressant, raubt aber im letzten Drittel jede Menge Screentime. Denn es gibt tatsächlich einige wenige Aspekte, die Mein Blind Date mit dem Leben erträglich werden ließen. Der Film ist dank guter Darsteller und deren Zusammenspiel wirklich charmant gelungen und kann als ambitioniert angesehen werden. Die Arbeit im Hotel ist verhältnismäßig realitätsgetreu nachgestellt worden, die gezeigten Arbeitsbedingungen sind nicht unwahrscheinlich. Die nackte, ältere Dame im Roomservice, die schlecht polierten Gläser im Bardienst und zahlreiche andere Hotellerie- und Gastronomieklischees muss der Kinofreund allerdings auch hier durchstehen. Und so wird Mein Blind Date mit dem Leben mit seinen Hochglanzbildern, dem unsachgemäßen Casting, seinen schwülstigen Motivationsreden über Träume und Hoffnungen und seinem unfassbar nervigen Soundtrack einfach vergessen werden. 

4/10

Freitag, 27. Januar 2017

Der lange Weg zurück




Manchester by the sea

Manchester-by-the-sea ist eine ruhige Kleinstadt im US-Ostküstenstaat Massachusetts. 5000 Einwohner und gelegentliche Gäste aus der naheliegenden Großstadt Boston nutzen das historische Kleinod für Fischerei oder Ausflüge an den berühmten Singing Beach. Inmitten dieser betulichen Idylle bettet (und drehte) Kenneth Lonergan sein nach der Stadt benanntes Drama um Trauerverarbeitung und den tristen Alltag der Arbeiterklasse. Nach dem Tod seines Bruders begibt sich der zurückgezogen lebende Lee Chandler in seine Heimatstadt Manchester-by- the-sea, um nach den Wünschen des Verstorbenen dessen Sohn, seinen Neffen, unter seine Obhut zu nehmen. Regisseur Lonergan kann sich dabei auf sein eigens verfasstes Drehbuch verlassen. Der Zuschauer tappt lange im Dunkeln, warum Lees Rückkehr in der Stadt für Tuscheleien, nervöse Blicke oder offene Ablehnung stößt. Über erstaunlich kurzweilige 138 Minuten entblättert sich Lage um Lage einer zu Tränen rührenden Familiengeschichte und es ist zum Einem dem ausgewogenen und realitätsnahen Skript zu verdanken, dass der Film mit einer relativ einfachen Prämisse niemals an Spannung einbüßt. Zum Zweiten wartet Manchester by the sea mit einem grandiosen Cast auf. Über Hauptdarsteller Casey Affleck ist bereits alles gesagt und geschrieben worden. Derzeit wird er mit Preisen für diese Performance geradezu überhäuft und es macht nicht den Anschein, dass diese Erfolgswelle bis zur Oscarverleihung abebben würde. Doch auch Affleck trägt diesen Streifen nicht alleine. Mir blieben dazu vor allem die Leistungen von Michelle Williams und Lucas Hedges in Erinnerung. Die Shutter Island-Darstellerin ist in nur einer Handvoll Szenen zu sehen, doch reißt diese mit einer schauspielerischen Urgewalt an sich, die kitschfreie und zutiefst menschliche Emotionen nicht nur sichtbar werden lässt, sondern unerwartet auch beim Kinopublikum hervorruft. Nachwuchsstar Lucas Hedges sorgt hingegen für die humorvollen und warmherzigen Momente in Manchester by the sea. Generell ist der Streifen keinesfalls niederschmetternd oder pessimistisch. Gerade die gemeinsamen Auftritte von Affleck und Hedges als ungleiches Team sind trotz aller Ernsthaftigkeit enorm aufmunternd, ohne dabei aufgesetzt zu wirken. Die Kanadierin Lesley Barber steuert des Weiteren einen wahrlich kraftvollen und eindringlichen Score bei, der die ungekünstelte Natürlichkeit des Films hervorragend unterstreicht. Trotz allen Lobes möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass Manchester by the sea nicht für ein breites Publikum gemacht wurde. Seine minimalistische und ruhige Erzählweise sowie die Fixierung auf die Entwicklungen der Charaktere kann einigen Kinofreunden als langwierig oder uninteressant missfallen. Doch wie so oft bei Filmen dieser Art lohnt besonders dann ein Gang ins Lichtspielhaus, wenn man sich davon überzeugen möchte, dass große Dramen weder schwülstig noch unzugänglich sein müssen. Machester by the sea ist ein großes kleines Werk über Vergangenheitsbewältigung und die Unfähigkeit zur Kommunikation. 

8/10

Für Fans von: The Place beyond the Pines, We need to talk about Kevin

Der Zonen - James Bond



Kundschafter des Friedens

Kundschafter des Friedens war tatsächlich die offizielle Bezeichnung von DDR-Spionen. Egal, ob man dem Ministerium für Staatssicherheit oder der Nationalen Volksarmee unterstellt war, der arg euphemistische Name an sich offenbarte schon die kolportierte Harmlosigkeit des Agentendaseins. Regisseur Robert Thalheim nutzt diesen ehemaligen Kalter Krieg-Begriff nun für eine Spionagekomödie der harmlosesten Sorte. Sein selbst formulierter Ansatz, keinen Ost-West-Film drehen zu wollen, sondern sich stattdessen humorvoll mit dem universellen Gefühl auseinanderzusetzen, nicht mehr gebraucht zu werden, geht allerdings nicht auf. Kundschafter des Friedens ist in jeder Minute voller Klischees, komplett vorhersehbar und inszenatorisch auf Fernsehfilmniveau. In zugegeben verhältnismäßig kurzweiligen 90 Minuten folgt der Zuschauer einem Team ehemaliger Stasi-Agenten, das auf Drängen der gesamtdeutschen Regierung die Wiedervereinigung des fiktiven Staates Katschekistan ermöglichen soll. Die Details der Story mitsamt ehemaliger BND-Agenten, alter Rechnungen und familiärer Verflechtungen ist dabei völlig zweitrangig. Kundschafter des Friedens fungiert einzig und allein als Show-Off für gestandene Schauspieler und deren Verkörperungen kauziger Ostdeutscher. Fast schon symptomatisch ist dabei die ausschließliche Besetzung ehemaliger DDR-Schauspieler (Henry Hübchen, Michael Gwisdek, Thomas Thieme, Winfried Glatzeder) als pensionierte Stasi-Spione. In einer internationalen Produktion wäre dieser Schritt absolut nachvollziehbar, für einen Film, der die Zweistaatengeschichte nur als Aufhänger nutzen möchte hingegen nicht. Neben gepflegter Langeweile und genüsslich ausgekosteten Klischees gibt es allerdings auch Positives an Kundschafter des Friedens. Alle gecasteten Schauspieler sind mit viel Enthusiasmus bei der Sache und schaffen es, Spaß und Herzlichkeit an das Publikum zu übertragen. Neben den genannten Herren wird diese Riege von Antje Traue, Florian Panzer und Kultmime Jürgen Prochnow vervollständigt. Dazu weiß Robert Thalheim ein sehr gutes Verhältnis von Score und Soundtrack für diesen Film zu nutzen. In vielen Fällen sorgen gut getimte Songs sogar für die größten Lacher. Als den besten Spaß empfand ich persönlich allerdings die Tatsache, dass es gerade das westeuropäische 70er Jahre-Paradies Gran Canaria mit seinen heruntergekommenen Hotelburgen ist, das für die Dreharbeiten im erdachten Ostblockstaat Katschekistan herhalten musste. Solch eine subversive Note hätte man sich von Kundschafter des Friedens auch innerhalb seiner Geschichte gewünscht. Stattdessen findet das Finale des Streifens im ehemaligen Bonner Bundestagsgebäude statt. Nun ja. 

5/10

Für Fans von: Get Smart, NVA


Samstag, 14. Januar 2017

Ein weiterer, sonniger Tag




La La Land

Schon die fünfminütige Eingangssequenz von La La Land ließ mir die Freudentränen in die Augen schießen. In den leuchtendsten Farben und im epischen Cinemascope-Format werden wir Zeuge einer Musicalnummer mit hunderten Sängern, Tänzern, Artisten und Statisten, die uns den Grundtenor des Films und die Vorgeschichten der Hauptcharaktere auf einem der endlos verstopften Highways von Los Angeles präsentieren. Denn es ist zweifellos die Verheißung, eigene Träume in der Stadt der Engel (oder wie im Film genannt: Stadt der Sterne) ausleben zu können, die bis heute erfolgshungrige Menschen an die kalifornische Küste zieht. So auch Mia und Sebastian. Sie versucht als Schauspielerin durchzustarten, hat es aber bislang nur zur Barista gebracht, er hält sich als Pianist mit Coverprogrammen über Wasser, will aber in einem eigenen Club den Jazz modernisieren. Beide träumen, treffen und verlieben sich. La La Land ist ein klassisches 50er Jahre Hollywood-Musical mit angenehm modernen Variationen. Hier werden große cineastische Vorbilder nicht nur hofiert, sondern, wie im Fall des James Dean-Streifens ...denn sie wissen nicht was sie tun, direkt in den Film integriert. So richtet sich La La Land nicht vorrangig an ein musicalaffines Publikum, sondern an Filmfreunde generell. Und auch all jene unter diesen, die Gesang und Tanz wenig abgewinnen können, werden hier ihre wahre Freude haben. Dafür sei in erster Linie Regisseur Damien Chazelle Dank ausgesprochen. Der Mastermind hinter dem vorjährigen Oscarabräumer Whiplash läuft erneut zu absoluter Hochform auf. La La Land ist sein dritter Spielfilm, dazu auch sein dritter Film, der die Musik behandelt. Und so ist es nicht verwunderlich, dass alle Musicalnummern besonders herausragend inszeniert sind. Scheinbar ohne sichtbaren Schnitt und mit einer schwerelosen Kamera wirbeln unsere Hauptdarsteller Emma Stone und Ryan Gosling (der für La La Land das Klavierspiel ziemlich eindrucksvoll erlernte) mit beeindruckenden Choreographien durch fantasievolle Sets, tragen hinreißende Kostüme und werden von Justin Hurwitz zeitlosen Kompositionen begleitet. Ganz im Ernst, ich kann mich an keinen Film erinnern, der mich mit so vielen Ohrwürmern entließ. Der Soundtrack hat definitives Kultpotential. Bei den Golden Globes wurde dies ja auch schon honoriert, für die Oscarverleihung sehe ich in den technischen Kategorien auch diverse Goldjungs für La La Land abfallen. Die Schauspielriege lässt ebenfalls keine Wünsche offen. Der Streifen ist komplett auf die bereits erwähnten Emma Stone und Ryan Gosling zugeschnitten. In ihrer bereits dritten Zusammenarbeit (nach Crazy, Stupid, Love und Gangster Squad) haben beide eine unnachahmliche Chemie entwickelt. Beide sind auch einzeln betrachtet wundervolle und hochdekorierte Darsteller, doch ihr Zusammenspiel ist der emotionale Kern des Films, den man gar nicht genug betonen kann. Denn Glaube, Träume und Hingabe sind in jeder der 127 Minuten Laufzeit auf der Leinwand zu spüren und bestimmen darüber hinaus auch die Entscheidungen der Protagonisten. So ist La La Land das ultimative Feel-Good-Movie, welches von seinem phänomenalen Einstieg bis zur bittersüßen Schlussnote schamlos nostalgisch unterhält. Eine perfekte Bewertung muss ich dem Film dennoch verweigern. Leider ist La La Land eine gute Viertelstunde zu lang geraten. Dem zweiten Akt hätte da eine Straffung gut zu Gesicht gestanden. Dennoch bleibt es natürlich dabei: Unbedingt anschauen und genießen!

9/10

Für Fans von: Singin' in the Rain, Can a Song save your life?, Hail Caesar!

Freitag, 13. Januar 2017

Kein Mais oder keine grünen Bohnen




Hell or High Water

Am Ende ist es das Öl, das Frieden und Wohlstand nach Texas bringt. Hier macht Hell or High Water seinen Standpunkt noch einmal besonders deutlich: Der Wilde Westen ist auch im Amerika des 21. Jahrhunderts allgegenwärtig. Das Leben der Landbevölkerung entbehrungsreich und ungemütlich, das Recht des Stärkeren dank lascher Waffengesetze fest verankert. Nur sind es keine marodierenden Banden mehr, die den Menschen ihr Geld stehlen, sondern gierige Banker. In diesen sozialkritischen Überbau bettet Arthouse- Regisseur David Mackenzie (Young Adam, Toy Boy) ein fesselndes Crime-Drama über zwei Brüder, die zur Tilgung der Hypothek auf ihr Familienanwesen beginnen, Banken auszurauben. Neben der wirtschaftspolitischen Dimension ist die inszenatorische Atmosphäre eine weitere große Stärke von Hell or High Water. Der Neo-Western fühlt sich dank seiner festen Verankerung in der Jetztzeit (selbstverständlich werden E-Zigaretten geraucht oder ständig Smartphones genutzt) niemals unpassend schwelgerisch oder anachronistisch an. Die Motive der handelnden Figuren bleiben vielleicht die gleichen, die Zeiten sind es, die sich ändern. Für diese Entsprechung findet Kameramann Giles Nuttgens (Dom Hemingway, Das Glück der großen Dinge), der bereits mehrfach mit David Mackenzie zusammenarbeitete, dann auch die perfekten Bilder. Seine melancholischen Aufnahmen der endlosen Weiten Westtexas (gedreht wurde allerdings komplett in New Mexico) unterstreichen noch einmal, wie entbehrlich sich der Einzelne angesichts der verbreiteten Trostlosigkeit und Verarmung der Mittelschicht hier fühlt. Hell or High Water geht damit auch ständig den Weg vom Kleinen ins Große. Hier werden persönliche Schicksale mit dem Untergang des ruralen Amerikas verknüpft. In vielen kleinen Szenen am Wegesrand des Geschehens wird dies immer wieder spürbar. Womit ich ein Wort zum Aufbau der Geschichte verlieren möchte. Hell or High Water ist mit 102 Minuten Laufzeit kein langer Film. In Zeiten, in denen sich Blockbusterkino ständig der Zweieinhalbstunden- Grenze nähert, können wir hier ein interessantes Phänomen beobachten. Die Geschichte des Films wird nicht mit neuen Figuren und Verwicklungen in die Länge gezogen, sondern bedient sich eher Erzählmustern von Tarantino oder den Coen-Brüdern, bei denen Filme ja gern in die Breite gehen. Ich kann verstehen, wenn man mit dem gemächlichen Passing von Hell or High Water nicht zurecht kommt, mich persönlich ließ der Streifen allerdings nicht eine Sekunde aus seinem Bann. Hierbei spielte auch das exzellente Schauspiel aller Akteure eine gewichtige Rolle. Chris Pine und Ben Foster geben ein grundverschiedenes, aber durch die Kraft des Blutes eng verbundenes Brüderpaar ab. Pine spielt herrlich konträr zu seinem sonstigen Saubermannimage, Foster gibt wie gewohnt dem Affen ordentlich Zucker. Mit Jeff Bridges steht den beiden das ultimative Südstaatengesicht als Sheriff entgegen. Er mimt zwar nur eine Variation seiner Charaktere aus Crazy Heart und True Grit, doch gibt es einen Grund, aus dem er die Idealbesetzung für diese Art von Figuren ist. Abgerundet wird der großartige Gesamteindruck des Films durch einen stimmungsvollen und mitreißenden Country-Soundtrack des australischen Kultmusikers Nick Cave und seines Weggefährten Waren Ellis (beide schrieben auch schon die Scores für Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford oder The Road). Hell or High Water ist für mich eines der absoluten Highlights der diesjährigen Awardsaison. Ein vielschichtiger, bewegender und herrlich schwarzhumoriger Film. 

9/10

Für Fans von: No Country for old men, Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada

Dienstag, 10. Januar 2017

Was weiß der Betrüger schon von Liebe




Die Taschendiebin

Das wohl größte Problem an Die Taschendiebin ist sein Name. Der deutsche Verleihtitel ist mal wieder erstaunlich schlecht gewählt, vermittelt er doch einen viel bösartigeren Eindruck, als dies der internationale Name The Handmaiden (Die Zofe) oder der koreanische Originaltitel machen, welcher übersetzt Das Fräulein lautet. Diese Begrifflichkeiten deuten wesentlich besser in die sinnliche und geheimnisvolle Richtung, die Die Taschendiebin auch einschlägt. Die Geschichte des Filmes ist eine lose Adaption des Sarah Waters-Romans Solange du lügst aus 2002. Dessen Handlung um Heiratsschwindel, Abhängigkeit und verbotene Liebe wurde dazu aus dem viktorianischen England ins japanisch besetzte Korea der 1930er Jahre verlegt. Extremregisseur Park Chan-Wook nutzt diese Mischung aus Motiven und Elementen der östlichen und westlichen Welt dann vorrangig, um einen perfekt ausgestatteten, betörend gefilmten und unerwartet humorvollen Kinostreifen zu kreieren. Mit Hilfe seines Stammkameramannes Chung Chung-Hoon (Ich und Earl und das Mädchen, Stoker) wird der Zuschauer geradezu mit einer Flut aus bezaubernden, weiten Naturaufnahmen und Close-Ups unterdrückter Emotionen beglückt. Die Taschendiebin ist auch dank der tollen Lichtsetzung und des untypischen Schnitts optisch ein perfekter Film. Wer jetzt in Park Chan-Wooks Vita einen Wendepunkt erwartet, den kann ich beruhigen. Die Taschendiebin ist sicher nicht so niederschmetternd wirkungsvoll wie Oldboy oder moralisch aufgeladen wie Lady Venegance, doch mit unerwarteten Wendung zuhauf und einzelnen wohldosierten Gewaltspitzen, bleibt die Handschrift des Regisseurs doch deutlich sichtbar. Wen jetzt die etwas fremde Thematik oder die stattliche Spiellänge von 144 Minuten dazu neigen lassen, einen Kinobesuch zu meiden, dem möchte ich hier noch auf das perfekte Passing von Die Taschendiebin hinweisen. Die zweieinhalb Stunden sind durch eine Dreiteilung der Erzählung und die wendungsreiche Gaunergeschichte richtig kurzweilig geraten. Wer gern über den Tellerrand hinaus schaut oder einen Einstand ins Werk eines der faszinierendsten Regisseure unserer Zeit sucht, dem sei Die Taschendiebin als hinreißend inszenierte Fingerübung empfohlen. 

8/10

Für Fans von: Schnee, der auf Zedern fällt, Carol

Freitag, 6. Januar 2017

Überdruckprobleme




Passengers

Seit 2007 kursierte das Drehbuch zu Passengers von Jon Spaihts bereits auf der legendären Blacklist Hollywood. Dort tummeln sich Geschichten, denen bei einer filmischen Umsetzung ein immenser Erfolg und höchste Qualität prognostiziert werden. Dessen Adaption kam wegen hoher Budgetforderungen Spaihts allerdings nur langsam ins Rollen. Und leider muss man es dem nun fertigen Film nach 10jähriger Produktionsphase so deutlich ankreiden: Es ist exakt dieses gehypte Drehbuch, dass Passengers zu einem unterdurchschnittlichen Film macht. Dabei ist die Prämisse denkbar aussichtsreich. Zwei Menschen erwachen auf einem interstellaren Flug zur Besiedelung einer zweiten Erde 90 Jahre vor Ankunft aus ihrem Hyperschlaf und müssen sich mit ihrem sicheren Tod und der endlosen Einsamkeit an Bord des Luxusraumschiffes Avalon arrangieren. Mit Chris Pratt und Jennifer Lawrence wurden zwei der derzeit angesagtesten Stars für die Hauptrollen gecastet. Und obwohl beide nur wenig mehr leisten als Dienst nach Vorschrift, kann man 116 Minuten lang mit beiden mitfiebern. Den Streifen retten, vermögen jedoch auch sie nicht. Denn neben kleineren Schwächen wie Thomas Newmans aufdringlichem Score oder der auffälligen wissenschaftlichen Ungenauigkeit, krankt Passengers vor allem an zwei zentralen Punkten. Zum einen ist da die Inszenierung von The Imitation Game-Regissuer Morten Tyldum. Hommagen sind ja an sich eine tolle Sache, für Filmfans ganz besonders. Doch wer so schamlos Kameraeinstellungen und ganze Szenen aus wesentlich besseren Filmen kopiert, wie Tyldum dies in Passengers tut, leistet seinem Film einen Bärendienst. Man kann sich als Kinobesucher einen regelrechten Spaß daraus machen, Sequenzen aus 2001, Shining, Sunshine, Gravity, Der Marsianer, Cast Away und Titanic zu finden. Da die generelle audiovisuelle Ebene des Films, insbesondere das Sounddesign und die Ausstattung, wirklich tadellos gelungen sind (auch wenn das 3D mal wieder erstaunlich dunkel wirkt und nicht notwendig gewesen wäre), wiegt das angesprochene Drehbuchproblem letzten Endes doch schwerer. Denn Passengers ist uninspiriert geradlinig und überraschungslos erzählt, weidet sich in zahllosen Klischees und pathetischen Dialogen. Dazu ist das Passing wahrlich miserabel. Auf längere Zeit wird auf spannende Ereignisse im Ganzen verzichtet, der Film konzentriert sich auf die zentrale Romanze und das Leben an Bord der Avalon, nur um im dritten Akt Plotpoint um Plotpoint auszupacken, die, falls überhaupt aufgelöst, niemals schlüssig in die Gesamthandlung integriert werden. Einem Film wie Passengers, bei dem die Zeit das alles bestimmende Handlungselement ist, hätte eine anspruchsvollere Erzählebene auf mehreren Ebenen deutlich besser zu Gesicht gestanden. Und so verlässt man den Kinosaal mit dem Gefühl, dass hier wirklich viel mehr möglich gewesen wäre. 

5/10

Für Fans von: Solaris, Der Marsianer, Sunshine, Gravity

Donnerstag, 5. Januar 2017

Der Beziehungskiller




Nocturnal Animals 
 
Tom Fords bislang einzige Regiearbeit – A single man aus 2009 – überzeugte durch großartige Schauspieler und ein präzises Stilempfinden. Letzteres war vom ehemaligen Gucci-Chefdesigner erwartet worden, dennoch war nicht abzusehen gewesen, dass Ford auch als Filmemacher so glänzen würde. Und auch nach seinem zweiten Kinostreifen wird dieser gute Ruf aufrechterhalten bleiben. Nocturnal Animals ist ein herausragend gespielter, verschachtelter und tiefschwarzer Neo-Noir-Thriller. Auf drei Ebenen erzählt uns Ford, der auch als Drehbuchautor fungierte, die Geschichte der unglücklich verheirateten Galeristin Susan, deren erster Ehe mit Autor Edward, sowie als Kernstück des Films den Plot von Edwards neustem Roman Nocturnal Animals, der eine besondere Bedeutung für Susan und das frühere, gemeinsame Leben der beiden zu haben scheint. Es ist besonders jener Teil des Films, der den Zuschauer mitreißt. Die finstere Kriminalgeschichte um einen Doppelmord ist dank der großartigen Performances von Michael Shannon und Aaron Taylor-Johnson (bereits Golden Globe-nominiert) sowie der fehlerlosen Inszenierung das absolute Herzstück in Nocturnal Animals. Die zu Beginn etablierte, erzählerisch zumindest zentrale Storyline kann anfangs hingegen noch wenig begeistern. Tom Ford karikiert hier die mondäne Kunstwelt von Los Angeles. Ob man einem Mann seiner Vorgeschichte solch eine Intention abnimmt, muss wohl jeder Zuschauer selbst beurteilen. Und so vergeht einiges an Zeit, der insgesamt 116 Minuten Lauflänge, ehe sich dem Kinogänger die Tragweite und die Zusammenhänge der drei Teilgeschichten offenlegen. Doch was Nocturnal Animals dann im finalen Akt auffährt, lässt bereits entstandenen Zweifel an der Wirkung des Filmes schnell vergessen. Die unterschwellig ständig brodelnde Spannung wird genial aufgelöst (der Plottwist am Ende ist keinesfalls als trivial zu verstehen), das Drehbuch darf nicht nur als unvorhersehbar und unergründlich, sondern auch als schlüssig bezeichnet werden. Ansonsten möchte ich an dieser Stelle noch die Kameraarbeit des Nordiren Seamus McGarvey (Avengers, The Accountant), sowie Fords Inszenierung, besonders hinsichtlich Farbgebung und Produktionsdesign loben. Amy Adams spielt ihre Hauptrolle natürlich gewohnt fehlerfrei, kommt jedoch nicht an ihre geniale Arbeit in Arrival heran. Zugegeben lassen sich diese beiden Charaktere auch nur schwerlich vergleichen. Als besonderes Schmankerl leistet es sich Tom Ford im übrigen noch, große Namen für kleinste Szenen auf die Leinwand zu holen. So sind Laura Linney, Isla Fisher und Martin Sheen jeweils nur für kurze Momente, aber in einprägsamen Rollen zu sehen. Achtet darauf! Nocturnal Animals wird sicher nur ein ausgewähltes Publikum begeistern können. Dafür werden zu viele Hollywood-Konventionen über Bord geworfen und eine intensive Nachbetrachtung scheint unerlässlich. Mich konnte Tom Ford hingegen begeistern. 

8/10

Für Fans von: Gone Girl, Maps to the Stars